Wohnungspolitik
Abstract
Wohnen ist Teil der allgemeinen Grundsicherung, jeder Mensch hat das Recht auf ein Dach über dem Kopf. In Folge von demographischem Wandel und Versäumnissen der Entscheidungsträger in den vergangenen Jahrzehnten herrscht nun, insbesondere in und um Ballungsgebiete, ein weiträumiger Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Angemessenes und bezahlbares Wohnen muss für jeden möglich sein.
Daher fordern wir sowohl akute Nachbesserung in der Gesetzgebung als auch mehr Mut von den Entscheidungsträgern für eine nachhaltige und langfristige Entwicklung des Wohnumfelds. Bürokratie muss abgebaut, Hürden für Wohnentwicklungsprojekte reduziert und unnötige Subventionen vermieden werden. Initiativen aus dem 2018er Wohngipfel der Bundesregierung greifen dabei zu kurz und Maßnahmen wie die Mietpreisbremse oder das Baukindergeld waren wenig zielführend, erwiesen sich als kontraproduktiv und zielten ohnehin nur auf die Bekämpfung der Symptomatik des angespannten Wohnungsmarktes. Privatpersonen müssen bei Neubau und Erwerb spürbar entlastet werden, ohne unnötige oder unfaire Subventionen einzuführen, dazu gehört z. B. auch die Reduktion der Erwerbsnebenkosten. Nicht nur das Leben in der Stadt soll attraktiv sein. Auch auf dem Land muss Wohnen durch Förderung der Infrastruktur (Internet, Nah- & Fernverkehr) und Nahversorgung (Lebensmittel, Medizin) attraktiver gemacht werden. Die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft, als Gesetzgeber und Bauträger, sollen dabei sicherstellen, dass Wohnraum für alle sozialen Schichten zur Verfügung steht. Dazu gehört ein rationaler und transparenter Diskurs über Bauentwicklungen mit der Gesellschaft.
Kurz gesagt benötigt es einen massiven Bürokratieabbau im Wohnungsbausektor, eine gezielte Förderung von Infrastruktur und Anpassung der legislativen und regulierenden Rahmenbedingungen. Damit das Wohnen von heute und morgen nicht durch die Fehler von gestern weiterhin erschwert wird, muss die Wohnungspolitik in vielen ihrer Aspekte überdacht und nachhaltig neugestaltet werden.
1. Einleitung
Ausgangssituation & Problematik
Seit mehreren Jahren entwickelt sich in Deutschland eine zunehmend flächendeckende Wohnungsnot, vor allem rund um die meisten Ballungszentren [1]. Der noch verfügbare Wohnraum ist größtenteils zu teuer für die meisten Normal- und Geringverdiener geworden. Dabei kann man Wohnraum als nicht mehr bezahlbar betrachten, wenn mehr als 30% des Nettoeinkommens für Miete und Mietnebenkosten aufzuwenden sind [2]. Während sich bundesweit die Miet- und Kaufpreise zwischen 2009 und 2018 um ca. 40% erhöhten [3], stiegen im Bundesdurchschnitt die Nettolöhne um nur ca. 23% im gleichen Zeitraum [4] (siehe Tabelle 1). In den letzten Jahren zeigte sich außerdem, dass gerade Haushalte mit geringem Einkommen durch den Mietpreisanstieg zunehmend von Armut gefährdet sind [5]. Gründe für die steigenden Mieten und den Kostenanstieg beim Bau hierfür finden sich in der langanhaltenden Niedrigzinspolitik [6], Arbeitskräftemangel im Bauwesen [7], zunehmende Normierung und Regulierung des Bauprozess [8], Immobilienspekulationen [9] sowie politische Fehlentscheidungen auf kommunaler [10] und Bundesebene [11].
Eigentum Neubauwohnung | Eigentum Reihenhaus | Wohnungsmiete Neubau | Wohnungsmiete Bestand | Grundstück Einfamilienhaus | Nettoeinkommen (Bund) | |
---|---|---|---|---|---|---|
2009 | 0.0% | 0.0% | 0.0% | 0.0% | 0.0% | 0.0% |
2010 | 4.5% | 2.5% | 3.2% | 2.4% | -0.4% | 4.0% |
2011 | 12.5% | 6.9% | 8.5% | 7.2% | 2.8% | 6.6% |
2012 | 20.4% | 11.7% | 14.6% | 11.9% | 6.9% | 9.2% |
2013 | 28.7% | 17.8% | 19.0% | 15.6% | 13.1% | 11.3% |
2014 | 36.1% | 25.8% | 23.2% | 19.1% | 22.2% | 14.2% |
2015 | 46.4% | 34.1% | 27.7% | 23.7% | 26.1% | 17.1% |
2016 | 58.2% | 44.7% | 34.6% | 30.4% | 32.1% | 19.8% |
2017 | 73.4% | 55.8% | 42.5% | 39.7% | 41.7% | 22.4% |
Der Wohnraummangel findet sich vor allem in Großstädten wie München, Berlin oder Frankfurt, wird aber auch zusehends im direkten Umland und diversen Mittelstädten zum Problem [3]. Aktuelle Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung bis ins Jahr 2035 sagen voraus, dass die aktuelle Bevölkerung von ca. 83 Millionen Menschen konstant bleibt, jedoch massive räumliche Umverteilungen stattfinden werden [13]. Während die meisten Großstädte und Ballungsräume deutlich wachsen werden (teilweise um mehrere 10.000 oder 100.000 Einwohner), wird erwartet, dass gerade ländliche Regionen und weite Teile Ostdeutschlands einen nennenswerten Bevölkerungsrückgang erleben werden (bis zu 25%). Die räumliche Verfügbarkeit von Wohnraum entspricht also nicht mehr dem Bedarf.
Laut Bund, Ländern und Kommunen handelt es sich bei der Wohnraumfrage um „eine zentrale soziale Frage unserer Zeit“. Sie erklärten die angemessene Wohnraumversorgung zu einer Voraussetzung für Wohlstand [14]. Jedoch zeigen politische Instrumente wie die Mietpreisbremse entweder keine Wirkung [11] oder wirken sogar kontraproduktiv wie das Baukindergeld [15]. Außerdem signalisiert die Bundespolitik wenig Einsatzbereitschaft Lösungsansätze zu schaffen, obwohl Experten bereits verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen haben (z. B. [16], [17]).
Zusammenfassend fehlt es zum einen allgemein an Wohnraum und zum anderen spezifisch an bezahlbarem Wohnraum für Gering- und Normalverdiener. Es müssen politische Mechanismen eingesetzt werden, die bezahlbares Wohnen ermöglichen und zum anderen eine nachhaltige Siedlungsentwicklung zulassen.
Angemessenes und bezahlbares Wohnen muss für jeden möglich sein!
Definition von Humanistischer Wohnungspolitik
Das ist der Anspruch, an dem sich humanistisch orientierte Wohnungspolitik messen lassen muss. Dieser Anspruch findet sich auch in verschiedenen Gesetzestexten und Charten der jüngeren Vergangenheit wieder und gilt daher als Menschenrecht der zweiten Generation [18].
So sollte es jedem möglich sein, in angemessener Nähe z. B. zum Arbeitsplatz auch bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Wohnungspolitik und Siedlungsentwicklung ist ein sich nur langsam verändernder Wirtschafts- und Gesellschaftsbereich. Dies bedeutet, dass getroffene Maßnahmen meist erst nach einigen Jahren klare Wirkung zeigen. Weswegen es umso wichtiger ist, dass Entscheidungen mit Weitsicht und vor allem nachhaltig getroffen werden und nicht kurzfristigen Trends oder Parteidogmen unterliegen. So müssen Maßnahmen, bspw. in Folge der oben genannten Bevölkerungsentwicklungen, eher mittel- bis langfristig angepasst werden.
Es ist Gegenstand dieses Papiers, aktuelle politische Probleme zu erläutern und Vorschläge zur Behebung des Wohnraummangels aufzuzeigen, zu bewerten und klare Position zu beziehen.
2. Humanistische Wohnungspolitik
Grundsätzlich ist zu betonen, dass es „die eine Maßnahme“ für Wohnungspolitik nicht gibt. Nur ein Kanon an Maßnahmen wird Effekte zeigen. So ergeben sich für dieses Papier 5 Hauptaktionsfelder:
Nachhaltige Siedlungsentwicklung |
Sozialer und bezahlbarer Wohnraum |
Wohnraumverteilung & Subventionierung |
Regularien bei Planung und Vergabe |
Steuerliche Rahmenbedingungen |
Jeder Bereich bringt mehrere für sich alleinstehende Maßnahmen mit sich, die auch als solche diskutiert werden. Jedoch sehen wir den Erfolg humanistischer Wohnungspolitik nicht in Einzelmaßnahmen, sondern im Gesamtpaket. Die aus jedem Einzelkapitel resultierenden Forderungen werden in Kapitel 3 abschließend zusammengefasst.
2.1. Nachhaltige Siedlungsentwicklung
In den zuzugsstarken Großstädten Deutschlands wird der Wohnraum knapp, dies schlägt sich schon seit einiger Zeit vielerorts auf eine Erhöhung der Mietpreise nieder [19]. Als Zielvorgabe wurde ein Neubaubedarf von 400.000 Wohnungen in entsprechenden Regionen berechnet, in Realität erhöht sich das Defizit jedoch jährlich um 140.000 [16]. So sollen 1,5 Millionen neue Wohnungen in der Bundesrepublik in den kommenden vier Jahren entstehen [14].
Im Bestreben Lebensqualität zu erhöhen, werden viele Entwicklungsmaßnahmen unternommen, um beispielsweise Quartiere aufzuwerten, den Verkehr besser zu steuern oder die Wohnsituation zu verbessern. Dabei ist es offensichtlich, dass jede Maßnahme im Rahmen der Stadtentwicklung einem Gentrifizierungsprozess beisteuert [20]. Von Gentrifizierung wird gesprochen, wenn Entwicklungen in Wohngebieten neue, zahlungskräftigere Bewohner anlocken und somit bestehende Mietstrukturen verändern und vormalige Anwohner verdrängen. Des Weiteren sind Wohnen und Arbeiten mit einer verstärkten Orientierung auf den Dienstleistungssektor näher zusammengerückt, so dass Menschen wieder in innerstädtische Gegenden [21] ziehen, sofern diese für sie finanzierbar und verfügbar sind. Dies zusammen führt zu einem erhöhten Bedarf an Wohnraum in den Ballungsräumen und sozialen Spannungen.
Neben dem Umstand, dass Wohnraum in den Ballungszentren fehlt, zeigen sich dafür gerade ländliche Regionen mit einem gegenteiligen Trend konfrontiert. Junge Menschen ziehen vermehrt in die Ballungsgebiete, während der ländliche Raum überaltert und dort Wohn- und Lebensraum ungenutzt zurücklassen [22]. Mit der Überalterung kommen auch strukturelle Probleme auf die ländlichen Regionen, z. B. ein Mangel an ärztlicher Versorgung [23] sowie die Vernachlässigung beim infrastrukturellen Ausbau v.a. beim Breitbandausbau [24].
Es ist noch Platz nach oben!
Nachverdichtung
Durch den vermehrten Zuzug von Menschen in die Ballungsräume erhöhte sich in den vergangenen Jahren der Druck auf den dortigen Wohnungsmarkt. Gleichzeitig wurde es versäumt rechtzeitig Kapazitäten zu schaffen, um Wohnraum bereitzustellen. Dies macht den Bau neuer Wohnungen und Wohngebiete unvermeidbar.
Da Bauland in den meisten Städten mittlerweile Mangelware ist, bietet sich die Aufstockung existierender Gebäude als kostengünstige und platzsparende Alternative an. So könnten durch den Bau zusätzlicher Stockwerke auf bestehende Gebäude allein 1,5 Millionen neue Wohnungen in Großstädten entstehen, ohne dass zusätzliche Flächen benötigt oder versiegelt würden [25]. Grünflächen müssen im Hinblick auf den Klimawandel erhalten bleiben und nach Möglichkeit eher vergrößert werden, um negative Effekte von urbanen Mikroklimata zu kompensieren [26]. Als weitere Option, um eine großskalige Flächenversiegelung zu verhindern, können neue Hochhausbauten (>22m) gezielt gefördert werden. Obwohl diese Form durch architektonische Entwicklungen der 60er-80er Jahre für Wohnbebauung als stigmatisiert gilt, können sie einen entscheidenden Anteil an zukünftiger urbaner Entwicklung leisten und verhindern, dass mehr Grün- und Freiflächen versiegelt werden [27]. Denn Hochhäuser lassen sich mittlerweile energieeffizient bauen und mit nachhaltigen Rohstoffen (siehe Kapitel 2.1.4) verwirklichen. Mögliche negative Effekte auf das Stadtklima lassen sich bspw. mit begrünten Fassaden kompensieren [28].
Es müssen bürokratische Hürden abgebaut werden, um langfristige Innenentwicklungskonzepte für Städte mit einem Fokus auf höhere und nachhaltigere Bauwerke umsetzen zu können. Wir fordern den gezielten Einsatz von Hochhausbauten und Nachverdichtung, zusammen mit dem Erhalt und Aufbau von Grünflächen am Boden und an den Gebäuden, um Flächenversiegelung zu vermeiden.
An- und Einbindung des städtischen Umlandes
Oft entstehen in Umlandgemeinden großer Städte höhere Kosten für Investitionen in Infrastruktur für die Anbindung neuer Bürger, die über die zusätzlichen kommunalen Einnahmen hinausgehen [29].
Folglich bauen viele Kommunen nicht oder weniger als sie könnten, obwohl diese über ausgewiesenes Bauland verfügen, da sie die hohen Folgekosten fürchten [30]. Es gibt entsprechende Modelle, die mittels überregionaler Planung gestaltet werden können. Hier kann auf Landesebene moderiert werden, so dass eine sachgerechte Aufteilung der Kosten zwischen den eingebundenen Partnerstädten und -gemeinden entsteht. Im Fall von Stadtstaaten ist wiederum der Bund als Moderation zwischen Stadtstaaten und umgebenden Bundesländern in der Pflicht.
Jene Städte und Kommunen, die gefragte Großstadtgebiete in Bezug auf Wohnraumschaffung entlasten können, sollen von diesen dafür entsprechenden Kompensationen erhalten. Dazu gehören finanzieller Ausgleich oder bessere infrastrukturelle Anbindung. Eine Förderung der Zusammenarbeit von Stadt und Umland zur Bekämpfung der Wohnraumknappheit ist daher essenziell [31].
Die Relevanz des Ländlichen Raums
Die Infrastruktur muss auch abseits der Metropolen gesichert werden. Zukunftsfähige Kommunen im ländlichen Raum können die großen Ballungszentren entlasten [31]. Gleichzeit verwaisen viele Gemeinden aufgrund fehlender Investitionen und gleichzeitigem Abzug der jungen Bevölkerung in die Metropolregionen.
Ländliche Kommunen müssen besser angebunden werden [32]. Nah- und Fernverkehr dürfen sich nicht auf die Stadt und ihren Speckgürtel beschränken, sondern müssen den ländlichen Raum effizient einbinden. Verbesserter Nahverkehr kann nicht nur das Pendleraufkommen auf die Schienen bringen [33], sondern entlastet auch den städtischen Wohnungsmarkt, da somit Wohnen auf dem Land keine Trennung vom städtischen Leben mehr bedeuten muss [34]. Dazu gehört aber auch der gezielte Ausbau der Nahversorgung auf dem Land sowohl für den alltäglichen Konsum (Lebensmittel) als auch für Medizin, Bildung und Telekommunikation. Denn ein Ausbau der kommunalen Infrastruktur (v.a. Digitalisierung [35]) ist grundlegender Bestandteil zur Ansiedlung neuer Arbeitsplätze, um Abwanderung zu verhindern. Darüber hinaus können die Länder die Kommunen politisch und finanziell unterstützen, Wohnungsleerstand im dörflichen Raum zu bekämpfen. Dies kann bspw. durch die Vermittlung von Kaufinteressenten, der Umsetzung von Modernisierungsmaßnahmen, der bedarfsorientierten Umnutzung leerstehender Gebäude sowie der gezielten Förderung von Zuwanderung geschehen [36]. Wo dies nicht möglich ist, kann ferner der Rückbau in stark schrumpfenden Regionen sinnvoll sein [37]. Dieser kann in Folge zur Entlastung kommunaler Systeme beitragen und zur Renaturierung von ehemals versiegelter Fläche führen.
Der ländliche Raum muss gezielt gefördert (Infrastruktur, Digitalisierung, Nahversorgung) und besser an die umliegenden Metropolregionen angebunden werden. Ferner soll der Rückbau bundesweit in der Städtebauförderung Berücksichtigung finden. Dieser sollte jedoch als Ultima Ratio gelten, denn sofern möglich, ist eine Förderung der Kommunen stets vorzuziehen.
Nutzung nachhaltiger Baumaterialien
Natürliche Baumaterialien zählen zu den bereits am längsten verwendeten Baustoffen überhaupt. Obwohl sie mittlerweile durch Beton und Stahl aus den Innenstädten moderner Städte größtenteils verdrängt wurden, erlebt bspw. Holz durch neue Technologien derzeit eine Renaissance [38].
Für die allgemeine Verwendung von Holz im Bau sprechen nicht nur seine Langlebigkeit, dass es deutlich leichter ist als Beton oder Stahl und ein natürlich nachwachsender Rohstoff ist [39]. Größter Vorteil ist der Umstand, dass aktiv CO2 verbaut wird und daher, im Vergleich zu Beton, Kohlenstoff gespeichert anstatt freigesetzt wird. Damit kann ein Wechsel von Beton zu Holz einen Beitrag zum Klimaschutz leisten [40]. Hinzu kommen viele Vorteile in Bezug auf Verarbeitbarkeit, Raumklima und die Option sie auch wieder recyclen zu können. Holzbauelemente sind um ein Vielfaches leichter als vergleichbare Betonelemente so dass Holzbauwerke auch effizienter gestaltet werden können z. B. durch leichtere Decken und weniger Lasten beim Bau. Holz wird schon lange für kleinere Bauwerke bspw. Fertighäuser effektiv angewendet [41]. Allerdings haben bisher konstruktionsbedingte Hürden und Brandschutzauflagen den Bau großer Holzbauwerke verhindert. Doch eine Kombination mit anderen Werkstoffen und Herstellungstechnologien erlauben mittlerweile Bauwerke mit 10 und mehr Stockwerken [42]. Als weitere, nachhaltige und natürlich Baustoffe, die jedoch bisher kaum mehr Anwendung finden, bieten sich beispielsweise Lehm [43] oder Stroh [44] an. In beiden Fällen kommen Bauformen zum Einsatz, die seit Jahrhunderten verwendet werden, jedoch im Zusammenspiel neuer Technologien, z. B. als weiterentwickeltes Komposit, auch die Anforderungen an modernes Bauen erfüllen können.
Natürliche und nachhaltige Werkstoffe gilt es bevorzugt zu betrachten, wenn dies konstruktiv möglich ist, damit die Bauwerke der Zukunft effizienter und CO2-neutraler entwickelt werden können [45]. Hier kann vor allem die öffentliche Hand eine Vorreiterrolle einnehmen und vermehrt auf derartige Baustoffe bei ihren Projekten setzen, um auch mögliche Bedenken durch transparente Bauverfahren in der Bevölkerung auszuräumen.
Alternative Wohnkonzepte
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Flächenbedarf an Wohnungen je Bewohner zugenommen [46] (ca. 20% in 20 Jahren), jedoch beobachtet man neuerdings auch Trends zum kompakten Wohnen in zum Beispiel Tiny Houses [47].
Kompakte Wohnformen wie Tiny Houses oder Modulhäuser können den ökologischen Fußabdruck einzelner Wohneinheiten drastisch reduzieren, insofern die Bewohner sich mit den räumlichen Einschränkungen abfinden können [48] [49]. Vorteile finden sich in erster Linie in den geringen Anschaffungskosten als auch dem geringen Ressourcenbedarf bei der Herstellung. Hinzu kommt, dass der Flächenbedarf von Tiny Houses äußerst gering ist, welches zusätzliche Bodenversiegelung bspw. durch konventionelle Bauformen, deutlich verringert. Mit der Option Tiny House Siedlungen auch auf Dachflächen oder Parkdecks anzulegen, können neue Wohnflächen auch in Innenstädten erschlossen werden [50]. Derartige Wohnformen sind jedoch hauptsächlich für kleine Haushalte interessant, da sie letztlich zu klein für mehrköpfige Familien sind. Hinzu kommt vielerorts die rechtliche Unsicherheit wo man Tiny House aufstellen darf bzw. gänzlich fehlende Plätze für Tiny House Siedlungen.
Tiny Houses und ähnliche Mikrowohnformen können einen deutlichen Beitrag leisten, um den Flächenbedarf von Wohnungen zu reduzieren und neue Wohnflächen, gerade in Städten, zu erschließen. Diese Wohnform muss gezielt gefördert werden, beispielsweise indem Kommunen Flächen für Tiny House Siedlungen deklarieren oder Dachflächen zur Wohnnutzung freigeben.
Entlastung des Pflegesystems und altersgerechte Bauweise
Menschen sollten in Würde und in den eigenen vier Wänden altern können. Die Unterbringung in einem Altenheim sollte bei der Versorgung älterer Bürger das letzte Mittel sein. Verschiedene Aspekte beeinflussen das Wohnen und damit auch die Lebensqualität im Alter, wobei insbesondere die Infrastruktur eine tragende Rolle spielt. Schließlich sind die räumliche Nähe zu Arztpraxen, öffentlichem Verkehr, sozialen Kontakten und Einkaufsmöglichkeiten für ältere und hilfsbedürftige Menschen entscheidend.
Hierfür könnte die ambulante und telemedizinische Versorgung ausgebaut, das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ weiter verbessert und mittelfristig mit größeren Summen ausgestattet sowie geeignete technische Assistenzsysteme in das Leistungsrecht der Kranken- und Pflegekassen aufgenommen werden [51]. Gesamtgesellschaftlich dürften die Kosten für die (verfrühte) Unterbringung Älterer im Altenheim jene für die häusliche Pflege übersteigen – von der Würde und den Wünschen der Betroffenen einmal abgesehen [52]. Insbesondere durch die zu erwartende Zunahme älterer und damit auch pflegebedürftiger Menschen [53] wird die Nachfrage nach barrierefreien oder barrierearmen Wohnformen in Zukunft noch zunehmen.
Deshalb sollten sowohl der Umbau schon vorhandenen Wohnraums als auch Neubauten weiter gefördert werden [54]. Lokale Projekte können zudem das gemeinsame Wohnen fördern (Beispiel: Wohnen für Hilfe, wo Studierende bei alten Menschen leben und diesen im Gegenzug helfen [55]). Statt eines Flickenteppichs kleiner und häufig unbekannter Projekte sollte ein bundesweites Programm zum gemeinsamen, integrierten Wohnen angestrebt werden, um die Attraktivität zu erhöhen, bürokratische Hürden zu minimieren und niederschwellige Hilfe anbieten zu können.
Forderungen
Das städtische Umfeld muss sich nachhaltig weiterentwickeln, sowohl in Höhe als auch der Fläche im Sinn der Anbindung des Umlands. Dazu sind bürokratische Hürden abzubauen, die Region stärker mit der Stadt zu vernetzen und barrierefreie Wohnungen zu fördern, um auf aktuelle und zukünftige Veränderungen der Gesellschaft vorbereitet zu sein!
- Hochhäuser nutzen um Flächen effizient zu nutzen und Innenentwicklung fördern
- Umland an- und einbinden
- Ländlichen Raum attraktiver machen
- Nachhaltige Baumaterialien nutzen
- Alternative Wohnformen unterstützen
- Pflegesystem durch altersgerechte Bauweise entlasten
2.2. Sozialer und bezahlbarer Wohnraum
Es gibt immer weniger Sozialwohnraum (Miet- und Belegungsgebunden) in Deutschland [56]. Entsprechend der Entschlüsse des Wohngipfels von 2018 soll hier die Wende herbeigeführt werden: Von 2018 bis 2021 möchte der Bund 5 Mrd. Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen und eine entsprechende Änderung im Grundgesetz durchsetzen, welche die Finanzierung über das Jahr 2019 hinaus erlaubt. Zusammen mit den Mitteln der Länder und Kommunen sollen hierdurch 100.000 neue Sozialwohnungen mit langfristiger Bindung entstehen.
Es mangelt jedoch nicht allein an Sozialwohnungen. Es mangelt auch an bezahlbarem Wohnraum und ohne staatlichen Eingriff gebaute Immobilien. Im Zuge der einst erwarteten demografischen Bevölkerungsentwicklung wurden diese Aufgaben allerdings vernachlässigt. Nicht nur wurde von Seiten der Länder und Kommunen kein adäquater Wohnungsbau geschaffen, auch die Bundesmittel wurden in vielen Ländern nicht dafür verwendet [58]. Stattdessen investierten Kapitalanleger verstärkt in deutsche Immobilien, da diese in attraktiver Lage als sichere Investition gelten [59]. Außerdem verschärfen die Binnenmigration [60], die EU-weite und auch die darüberhinausgehende Migration die Lage auf angespannten Wohnungsmärkten. Zusätzlich mangelt es auch an Kapazitäten in der Bauwirtschaft, um mehr Neubauten zu schaffen. Diese wendet jedoch ein, dass sie langfristige Sicherheit in Form von Zusagen über Bundesfinanzierungen auch nach 2020 benötige [17]. Letztlich hat auch der individuelle Flächenbedarf beim Wohnraum massiv zugenommen, so dass Wohnungen heutzutage mehr Fläche je Bewohner bieten müssen [46].
Über das Eigentum an kommunalen/öffentlichen Wohnungsunternehmen haben Länder und Kommunen heute durchaus eine Steuerungsmöglichkeit auf lokalen Wohnungsmärkten. Wohnimmobilien in Deutschland gehören jedoch zu 80% Privatpersonen, wobei insgesamt 43% selbstgenutzt und 37% von diesen vermietet werden. Die restlichen 20% der Wohnungen und Häuser werden von gewerblichen Unternehmen bewirtschaftet, darunter öffentlich/kommunale, genossenschaftliche und weitere private Anbieter [61].
Sozialer Wohnungsbau – Förderung
Sozialer Wohnungsbau war in den vergangenen Jahrzehnten eine wichtige Komponente, um Menschen mit geringem und keinem Einkommen kostengünstigen Wohnraum anzubieten. Diesen Mechanismus gilt es zu erhalten. Allerdings darf sozialer Wohnungsbau nicht zu Ghettoisierung führen weswegen eine soziale Durchmischung von regulärem und gefördertem Wohnraum stets zu empfehlen ist und v.a. bei Neubauprojekten umzusetzen gilt [62].
In den vergangenen Jahren wurden vermehrt Stimmen laut, die eine Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit verlangen [63] [64]. Dabei soll sozialer Wohnraum durch Zweckbindung entstehen und im Gegenzug Steuervergünstigungen vergeben werden. Wohnungsunternehmen (private und öffentliche), die sich der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit anschließen würden, müssten bspw. eine 90%ige-Belegungsquote als sozialen Wohnraum sicherstellen. An diesem Vorhaben und damit verbundenen Implikationen kann sich zahlreiche Kritik finden [65]. Die damit verbundenen Auflagen machen eine Annahme der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit für Privatunternehmen unattraktiv und eine Verpflichtung öffentlicher Unternehmen würde zu einer deutlichen Anpassung der bestehenden Mietverhältnisse führen. Neubaumaßnahmen würden zwangsläufig zu einer neuen Entwicklung sozialer Brennpunkte führen wie bereits im Rahmen der ehemaligen Wohnungsgemeinnützigkeit beobachtet wurde. Aus sachlicher Sicht wäre eine Rückkehr zur Wohnungsgemeinnützigkeit nicht zu vertreten. Sinnvoll wäre eher eine Verstetigung der Bundesfinanzierung für sozialen Wohnungsbau, um langfristig ausreichende Sicherheit für den Erhalt sozialen Wohnraums zu schaffen [66].
Sozialer Wohnungsbau muss auch in Zukunft gefördert und nachhaltig angewendet werden. Es wird daher gefordert, die allgemeine zweckgebundene Förderung von sozialem Wohnraum weiter aufzustocken und Rahmenbedingungen für die Entwicklung von neuem und den Erhalt des bestehenden Wohnraums anzupassen. Dazu gehört auch beispielsweise eine regelmäßige Erhöhung des Wohngeldes [67] oder des Verzichts auf Grunderwerbssteuer bei Bauland zur Schaffung von sozialem Wohnraum. Es müssen nachhaltige Förderungsmodelle genutzt werden um sozialen Wohnraum langfristig und flexibel gemäß der Bedarfslage gewährleisten und neu schaffen zu können.
Sozialer Wohnungsbau – Fehlbelegungen
Fehlbelegung ist ein Problem im sozialen Wohnungsbau [68], wo oft nur bei Einzug die finanzielle Lage der Mieter geprüft wird. Verbessert sich die wirtschaftliche Lage der Bewohner von Sozialwohnungen, sodass sie nicht mehr in die Förderung fallen, müssten diese ihre Wohnung räumen oder die Ausweisung von neuem sozialem Wohnraum wäre notwendig. Lange wurde hierbei die Fehlbelegungsabgabe als Instrument angewendet, welche die Sozialwohnungen für nun besserverdienende künstlich verteuerte und somit zum Umzug animierte. Allerdings ist sie mittlerweile in den meisten Bundesländern abgeschafft, um, neben des hohen Prüfungsaufwands, eine bessere soziale Durchmischung zu gewährleisten. In Folge verblieben viele ehemals berechtigte Bewohner in ihren Sozialwohnungen, was zu einer Reduktion des verfügbaren Bestands führte. Über die statistische Dimension von Fehlbelegungen gibt es sehr unterschiedliche Angaben von 15-50% je nach Quelle [69].
Lösungsoptionen finden sich hierbei zum einen bei der Wiedereinführung der Fehlbelegungsabgabe. Alternativ könnte bei hinreichend großem Wohnungsbestand die Sozialwohnung jedoch in eine marktgerechte Mietsituation überführt werden, insofern regelmäßige Prüfungen zur Förderbarkeit der Bewohner durchgeführt werden. Die Restbindungszeit der Wohnung könnte auf eine, der Größe und Qualität nach, vergleichbare Wohnung im Eigentum des Trägers an anderer Stelle übertragen werden. Damit würde auch die räumliche Verteilung von Sozialwohnungen einer neuen Dynamik unterliegen, welche einer weiteren sozialen Durchmischung zuträglich wäre. Als dritte Option könnte die Differenz von Marktmiete und garantierter Sozialmiete an den Fördergeber zurückfließen. Problem bei Anpassungen von sozialen in marktübliche Mietpreise könnte ein negativer Effekt auf die Motivation zur Erhöhung des Mietereinkommens sein. Daher müsste eine entsprechende Überführung stets gestaffelt und transparent erfolgen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit den sozialen Wohnungsbau vollständig zu kippen und stattdessen mit umfangreichem Wohngeld auszugleichen [70]. Letzteres könnte jedoch die Entstehung von neuem, günstigem Wohnraum vermeiden, da, anstatt die Weiterentwicklung der Städte finanziell zu fördern, die Bestandsmieten subventioniert werden würden. Letztlich könnte jedoch auch eine Kombination aus Wohngeld und sozialem Wohnungsbau im regionalen Kontext greifen.
Nach aktuellem Stand ist die Fehlbelegung von sozialem Wohnraum ein natürlicher, vorherrschender Effekt. Umlegungsmaßnahmen für fehlbelegten Wohnraum zur Schaffung eines dynamischen Wohnumfeldes über Ersatzwohnraum sind hier grundsätzlich zu empfehlen. Eine Fortsetzung der aktuellen Praxis oder gar ein Beenden der sozialen Wohnbauförderung ist in keiner Weise vertretbar.
Erhaltung öffentlicher Wohnungsunternehmen
Öffentliche Wohnungsunternehmen sind in vielen Städten ein wichtiges Steuerungsinstrument für den Wohnungsmarkt und können günstige Mietpreise gewährleisten. Jedoch wurden diese in der Vergangenheit in vielen Städten privatisiert oder verkauft, wie bspw. in Berlin [10] oder Dresden [71], was spürbar negative Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt hatte. Allerdings wird ihre Rolle zunehmend wichtiger und Probleme auf den Wohnungsmärkten finden sich dort stärker, wo öffentliche Bestände reduziert wurden.
So zeigte sich, dass dort, wo sich kommunale Wohnungsunternehmen erhalten konnten, eher positive Effekte auf dem Wohnungsmarkt zeigten [72]. Denn angemessen bewirtschafteter öffentlicher Wohnraum nimmt Druck von den lokalen Wohnungsmärkten. Als ein Musterbeispiel für die Schaffung und den Erhalt des sozialen Wohnungsbaus kann die Stadt Wien gesehen werden. Dort gehören 32% aller Wohnungen der Gemeinde und weitere 26% gemeinnützigen Wohnungsunternehmen [73]. Die Stadt Wien gibt bei weniger als 2 Mio. Einwohnern 600 Mio. Euro pro Jahr für dieses Programm aus. Da sich in Wien derzeit circa 220.000 Wohnungen als Gemeindebauten in öffentlicher Hand befinden, ist das Wohnen zur Miete dort im Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Großstädten deutlich günstiger [74].
Öffentliche Wohnungsunternehmen müssen als wichtiger Teil der gesellschaftlichen Grundsicherung in öffentlicher Hand gehalten werden. Sie dürfen nicht weiter zu reduziert, sondern müssen wieder ausgebaut werden. Allerdings darf der Ausbau öffentlicher Wohnungsunternehmen durch Bestandswohnungen nicht die Schaffung von neuem Wohnraum verhindern.
Wohnungsgenossenschaften
Genossenschaften können besonders geeignet sein, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und nachhaltig zu bewirtschaften, da sie ausschließlich im Interesse Ihrer Mitglieder/Mieter agieren. Ihr zentrales Augenmerk gilt nicht bei der Befriedigung von Renditeansprüchen externer Anteilseigner. Wohnungsgenossenschaften engagieren sich beim Bau und Betrieb von nachbarschaftlichen Begegnungspunkten, tragen zur Verbesserung des Wohnumfelds bei und leisten integrationsfördernde Maßnahmen [75]. Zudem bieten sie in Kooperation mit sozialen Trägern soziale Dienstleistungen an.
Wohnungsgenossenschaften könnten speziell durch eine gesetzliche Berücksichtigung des Sonderfalls Genossenschaft gefördert werden. Ein Beispiel für eine solche Berücksichtigung kann jene vom Deutschen Bundestag im Haushaltsgesetz 2018 beschlossenen Änderungen bei der Vergabepraxis von bundeseigenen Immobilien durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) sein [76]. Die BImA soll fortan die Vergabepraxis nach Höchstpreisgebot unterlassen. Kommunen erhalten die Möglichkeit, bundeseigene Grundstücke zur Erfüllung ihres öffentlichen Auftrags vergünstigt zu erwerben. Die Weiterveräußerung eines solchen Grundstücks an private Dritte kann bedingungsgleich erfolgen. Für Genossenschaften (auch für kommunale Wohnungsgesellschaften und private Unternehmen) wird es somit einfacher, wenn sie zugehörige soziale Bedingungen erfüllen. Und das tun Genossenschaften schon per Satzung. Die genaue Regelung kann durch die Richtlinie zur verbilligten Abgabe von Grundstücken geregelt werden. Darüber hinaus können zinsgünstige Förderkredite bei der Gründung von Wohngenossenschaften förderlich sein.
Das Wohnungswesen ist bei Bewirtschaftung und beim Bau sozialer Infrastruktur zunehmend gefordert. Gerade Genossenschaften können hier günstigen und sozialen Wohnraum bereitstellen. Diese Unternehmensform muss gestärkt, Gründungen unterstützt und bestehende Fördermechanismen weiter ausgebaut werden [77]. Es gilt kommunale Förderungsmaßnahmen für genossenschaftliches Wohnen zu schaffen und Vorkaufsrechte zu nutzen, um diese Wohnform weiter zu unterstützen.
Enteignungen
Im Zuge der steigenden Mieten durch bspw. Modernisierungen und starker Gentrifizierung rückte in jüngerer Zeit die Option der Enteignung gerade in Berlin in den Fokus [78]. Diese Lage hat sich vor allem dadurch ergeben, dass Berlin massenhaft Wohnungen der öffentlichen Hand an private Investoren veräußerte, um kurzfristig die klammen Kassen zu füllen und die öffentlichen Wohnungsunternehmen zu sanieren bzw. aufzulösen [79].
Mit dem Berliner Volksbegehren wird eine Enteignung aller privater Wohnungsgesellschaften im Bundesland Berlin mit jeweils über 1500 Wohnungen gefordert. Diese Unternehmen sollen demnach deutlich unter Marktwert entschädigt und die ca. 200.000 Wohnungen in Gemeingut mit genossenschaftlichem Charakter überführt werden [80]. Dies würde jedoch einen erheblichen Eingriff in die Eigentumsrechte der Unternehmen bedeuten und den bereits stark verschuldeten Berliner Haushalt weiter belasten. Außerdem würde ein solches Verfahren gewaltige Unsicherheiten auf dem Wohnungsmarkt bedeuten und unter Umständen Investitionen langfristig verhindern. Obwohl in einem solchen Verfahren große Summen an Steuergelder aufgewendet werden würden, entstünden auf diese Weise keine neuen Wohnungen, welche in Berlin dringend nötig sind. Um den Bestandsmietern dennoch zu helfen, wurde in jüngerer Zeit in Einzelfällen vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht [81]. Neben dem Neubau können auch viele Bestandsbauwerke (ca. 19,000 Wohnungen in ganz Berlin [82] [83]), die aktuell leer stehen zur Wohnnutzung wiederhergerichtet werden.
Die massenhafte Enteignung von Wohnungsunternehmen in Berlin ist weder nachhaltig noch zielführend. Der dortige Senat würde nur seine eigenen Fehler der Vergangenheit mit Hilfe von Steuergeldern bereinigen und somit den Bürger gleich doppelt belasten. Dies könnte zwar den Bestand sichern, den Wohnungsmarkt aber kaum entlasten. Stattdessen muss neuer, geförderter bzw. günstiger Wohnraum entstehen. Die für die Enteignungen notwendigen finanziellen Mittel könnten ein Vielfaches des benötigten Wohnraumes finanzieren und den Wohnungsmarkt entlasten [84]. Daher sind derartige Enteignungen grundsätzlich abzulehnen. Die durch die Wohnungsunternehmen erhöhten Mieten lassen sich eher durch Milieuschutz vermeiden und großangelegter Wohnraumentwicklung reduzieren.
Forderungen
Sozialer, bezahlbarer Wohnraum muss langfristig von öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand gefördert werden, dazu gehört eine stetige Finanzierung von sozialem Wohnungsbau, die Förderung von Wohnungsgenossenschaften.
- Finanzierung von sozialem Wohnungsbau verstetigen
- Fehlbelegungen von sozialem Wohnungsbau über Ersatzwohnraum kompensieren
- Öffentliche Wohnungsunternehmen erhalten
- Wohnungsgenossenschaften fördern
- Enteignungen vermeiden
2.3. Wohnraumverteilung & Subventionierung
Sobald Wohnraum entstanden ist, spielt die Frage der Verteilung eine zentrale Rolle. Während dies bei Sozialwohnungen bereits durch verschiedene Mechanismen geregelt ist (siehe Kapitel 2.2.2), so gibt es beim restlichen Wohnraum nur wenige direkte Einflussmöglichkeiten der Politik. Gerade im Zuge von Modernisierungen kam es in den letzten Jahren vermehrt zu einem Gentrifizierungsprozess und somit zu sozialen Spannungen in den gewachsenen Wohnvierteln [85]. Hinzu kommt die zunehmenden Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt [86], Dritt-Vermietungen (bspw. Airbnb) [87] und allgemeiner Leerstand [88].
Milieuschutz
Milieuschutz zählt zu den Werkzeugen des Städtebaurechts im Sinne der Erhaltungssatzung, um v.a. die bestehende Bevölkerungsstruktur vor bspw. Verdrängungsprozessen im Wohnungsmarkt zu schützen. Hierbei wird in der Regel eine starke Reglementierung von Modernisierungsmaßnahmen eingeführt, um zu vermeiden, dass hierdurch Mieten gesteigert werden könnten [89].
Milieuschutz verhindert jedoch auch klimapolitisch notwendige Maßnahmen, wie energetische Sanierungen als auch mögliche Aufstockungen zur Schaffung neuen Wohnraums [90]. Darüber hinaus verhindert es die Bildung von privatem Wohneigentum, welches ähnliche Effekte erzielen kann wie der Milieuschutz selbst. Milieuschutz kann jedoch zu langfristig stabilen Bewohnerstrukturen führen und helfen, Verdrängung zu vermeiden, allerdings nur durch einen starken Eingriff in die Eigentumsrechte des Besitzers. Als Alternativen, gerade wenn es sich nur um Einzelobjekte dreht, gilt das Vorkaufsrecht zur Eigentumsbildung der Bestandsmieter und die Bildung von genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen an [90].
Milieuschutz sollte stets mit Bedacht eingesetzt werden, um nicht ungewollt die Weiterentwicklung von Stadtvierteln zu behindern. Wir empfehlen Milieuschutz als Ultima Ratio um Gentrifizierung entgegen zu wirken. Zuerst muss jedoch mit Vorkaufsrecht, Genossenschaften und der Schaffung von neuem Wohnraum das bestehende Mietergefüge geschützt werden. Letztlich bleibt der beste Milieuschutz ausreichender bezahlbarer Wohnraum.
Wohnungsleerstand und Zweckentfremdungsverbot
Trotz Wohnungsknappheit gibt es selbst in angespannten Wohnungsmärkten langfristig leerstehende Wohnungen und baufällige Gebäude, welche nach einer Sanierung vermietet werden könnten [91]. Ein Grund hierfür ist, dass leerstehende Wohnungen als Spekulationsobjekte genutzt werden. Darüber hinaus ist es möglich, dass Eigentümer sanierungsbedürftiger Altbauten nicht willens sind, Ihre Immobilien herzurichten oder nicht ermittelt werden können. Die Städte können jedoch beispielsweise Arbeitsgemeinschaften bilden, welche die Eigentümer ausfindig machen und Druck auf diese ausüben können, diese Immobilien zum Zwecke der Vermietung zu sanieren oder zu verkaufen. Die Stadt Leipzig konnte auf diese Weise innerhalb von 3,5 Jahren die Anzahl unbenutzter Wohngebäude deutlich reduzieren [92].
Neben langfristigem Wohnungsleerstand werden auch viele Wohneinheiten bspw. über Plattformen wie Airbnb an Touristen vermietet. Die Vermieter erhoffen sich dadurch monetäre Vorteile gegenüber einer normalen Vermietung. Diese fließen, zusammen mit den Ausgaben der Touristen jedoch teilweise wieder zurück in die Quartierskasse [93]. Allerdings beobachtet man auch zunehmend Verdrängungseffekte, welche einige Städte zur Regulierung der Airbnb-Vermietung führten [94], oft verbunden mit sehr hohen Geldstrafen. In der Realität machen diese jedoch meist ca. 0.1 – 0.5% des Wohnungsbestandes aus. Allerdings könnte ein Freiwerden dieser Wohnungen für reguläre Vermietung Spannung vom Wohnungsmarkt nehmen. Insgesamt zeigte sich, dass das Zweckentfremdungsverbot eine wirkungsvolle Maßnahme darstellt, um Wohnraum zu erhalten, da mögliche Umnutzung erst nach behördlicher Genehmigung erfolgen darf [95].
Zweckentfremdungsverbote müssen vor allem dort angewendet, wo starker Wohnraummangel herrscht, sollten jedoch ohne dringenden Bedarfsfall vermieden werden. Darüber hinaus ist es notwendig, dass Städte gezielt daran arbeiten müssen, Wohnungsleerstand zu unterbinden. Dazu müssen kommunale Arbeitsgruppen gebildet werden, welche den Leerstand identifizieren und die Objekte weiterentwickeln können.
Mietpreisbremse
Um den Mietpreisanstieg zu verlangsamen wurde 2015 die Mietpreisbremse eingeführt, deren Ausgestaltung sowie Wirkung unterschiedlich bewertet werden [96], [97]. Die Regelungen sehen vor, dass bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen die zulässige Miete in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt höchstens auf das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete zuzüglich 10% angehoben werden darf. Diese legen die Länder fest. Einhergehend gab es eine Deckelung der Modernisierungsumlage – dem Anteil, den Eigentümer aus einer energetischen Modernisierungsmaßnahme auf die Miete umlegen dürfen, da die Maßnahme dem Mieter Nebenkosten in Form von Heizenergie spart.
Dort wo die Mietpreisbremse Anwendung findet, kann sie kurzfristig zu einer verringerten Steigerung der Kaltmiete führen. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass, anstatt Investitionen in Bestandsbauten durchzuführen, welche dann bspw. zur Mieterhöhung geführt hätten, eine Steigerung der Neubaumaßnahmen festgestellt wurde [97]. Allerdings ist das erhoffte Primärziel, eine flächendeckende Reduktion der Mietpreissteigerung, verfehlt worden [96]. Ein Überschreiten der marktüblichen Vergleichsmiete war eher die Regel als die Ausnahme und selbst die Definition der Vergleichsmiete bspw. durch einen Mietspiegel wurde vielfach kritisiert, da dieser von Ort zu Ort unterschiedlich ermittelt wird und dies selten hinreichend quantitativ [98]. Schwerwiegendster negativer Effekt ist jedoch die Verhinderung von Investitionen in die bestehende Gebäudestruktur, welches sowohl im Sinne Bauwerkserhaltung als auch klimapolitischer Aspekte höchst bedenklich ist [99]. Eine Reform des Mietspiegels sollte als Mindestanforderung hier genannt werden bspw. auch in Hinsicht auf politische Unabhängigkeit, besserer Dokumentation der Bestandsmieten und Repräsentativität der Datengrundlage [100].
Das ständige Bearbeiten einer wirkungslosen Maßnahme dämpft höchstens die Symptome, aber behebt die Ursachen für Wohnungsmangel und hohe Mieten nicht. Das Konstrukt der Mietpreisbremse sollte abgeschafft werden und stattdessen ein Investitionsfokus auf direkte Maßnahmen der Wohnraumgewinnung gelegt werden, um die Ursachen der Wohnraumverknappung zu bekämpfen.
Baukindergeld
Subventionen sind seit jeher ein oft genutztes Mittel, um Märkte zu steuern [101]. Wohnen stellt hierbei keine Ausnahme dar [102]. Hundert Euro pro Monat und Kind über zehn Jahre sieht das Baukindergeld im Koalitionsvertrag von Union und SPD vor. Mieterbund und Eigentümerverbände zweifeln an der Sinnhaftigkeit [103].
Die so über zehn Jahre ausgezahlten Gelder, so lautet die geteilte Meinung, würden seitens der Bauunternehmen „eins zu eins“ auf die Kosten aufgeschlagen. Ähnlich funktionierte die Eigenheimzulage zwischen 1995 und 2000, welche schließlich abgeschafft wurde. Darüber hinaus wird somit zusätzlich die Nachfrage nach knappem Bauland erhöht was wiederum die Preise höher treibt. Die Einführung des Baukindergeldes ist, gerade bei aktueller Marktlage, eher kontraproduktiv. Somit wird auch kein neuer Wohnraum geschaffen und vor allem nicht für jene, die ihn am ehesten brauchen würden. Hier werden wiederum nur Symptome eines angespannten Wohnungsmarktes behandelt und nicht die Ursachen [104].
Daher wird eine Abschaffung des Baukindergeldes gefordert, stattdessen empfehlen sich flächendeckendere Maßnahmen wie eine Reduktion der Bau- und Erwerbsnebenkosten.
Forderungen
Milieus verändern sich, doch gerade gewachsene Gesellschaftsstrukturen sollten geschützt werden, wo nötig. Im gleichen Maße darf ungenutzter Wohnraum jedoch nicht vergessen und zu neuer Nutzung geführt werden, während intransparente und wenig zielführende Subventionen gesellschaftliche Ungleichheiten befördern könnten. Diese gilt es zu vermeiden.
- Milieus schützen ohne Investitionen zu vermeiden
- Wohnungsleerstand bekämpfen und Spekulationen verhindern
- Nicht-zielführende Subventionen abschaffen
2.4. Regularien bei Planung und Vergabe
Unter den häufig genannten Flaschenhälsen für mehr Wohnraum wird der Mangel an Bauflächen aufgeführt [105]. Boden ist ein knappes Gut und die Kosten für Grundstücke überschreiten in attraktiven Lagen häufig 50% der Baukosten [106]. Neben den Baukosten gibt es noch weitere Hemmnisse, welche Neubauvorhaben behindern können – angefangen vom Widerstand der lokalen Anwohner bis hin zu baurechtlichen Auflagen.
Bodenbevorratung
Durch den kommunalen Besitz von Böden, lässt sich deren Verwendung deutlich gezielter und nachhaltiger Steuern. Hierzu kann öffentliche Bodenbevorratung den Grundstein legen.
Städte wie Ulm [107] zeigen hier schon lange, wie öffentliche Bodenpolitik der Stadtentwicklung zuträglich sein kann. Langfristige und über Legislaturperioden hinausschauende Bevorratung öffentlicher Flächen ist hierzu dringend notwendig. Denn kurzfristiger Erwerb von Flächen mit konkreter Bauabsicht können preistreibend wirken. Die negativen Effekte von schlechter bzw. nicht vorhandener Bodenpolitik lassen sich bspw. in Berlin beobachten [108]. Stattdessen sollten Kommunen, wo möglich, freiwerdende Flächen im Sinne des Vorkaufsrechts bereits frühzeitig erwerben. Zwischenzeitliche Verpachtung könnte hier mittelfristig den Kaufpreis refinanzieren. So wäre eine gezielte Steuerung der Stadtpolitik durch bspw. Konzeptvergabe dieser Fläche (siehe Punkt 7.2) möglich [109].
Städte und Kommunen müssen ihre Entwicklung im Sinne des Gemeinwohls gestalten, dazu gehört auch eine langfristige Bodenpolitik [110]. Kommunen sollten in Zukunft gezielt dazu angehalten werden, Grundstücke zu kaufen, um im Bedarfsfall darauf zurückgreifen zu können. Grundsätzlich sollte bei Investitionsoptionen die Bodenbevorratung die Schaffung von neuem Wohnraum aber nicht behindern.
Vergabeverfahren
Im Bereich der Vergabe kommt es noch immer standardmäßig vor, dass Grundstücke nach dem Höchstpreisverfahren von der öffentlichen Hand verkauft werden [111]. Der Höchstbietende erhält den Zuschlag, nicht jener Bieter, der konzeptionell das beste und unter Umständen nachhaltigste Konzept für einen Interessenausgleich sämtlicher betroffener Gruppen vorweisen kann. Damit orientiert sich die Vergabe nicht zweckmäßig an der Verwendung des Grundstücks und deren Effekt auf die Gemeinde insgesamt.
Um eine nachhaltigere Stadtentwicklung zu fördern, bietet sich ein Vergabeverfahren nach Konzept an [112]. Damit wird vor allem die Qualität des Bebauungs- und Nutzungskonzeptes zur Bewertung herangezogen, dazu zählt unter anderem auch die gesellschaftliche und soziale Verträglichkeit im lokalen Wohnumfeld sowie energetische Konzepte im Sinne einer nachhaltigen Bebauung. Ein Kriterienkatalog zur Ausschreibung könnte beispielsweise den Anteil der zu bauenden Sozialwohnungen oder bezahlbarer Wohnungen festschreiben, Infrastrukturanpassungen und Niedrigenergiebauweise verlangen. Solche Kriterien sollten stets höher gewichtet sein als ein einmaliger Höchstpreis beim Grundstücksverkauf. In Hamburg wird hierzu beispielsweise eine Wichtung von 70% für das Konzept und nur noch zu 30% der Kaufpreis bei der Vergabe von Bauland als Kriterien herangezogen.
Ein solches Verfahren muss bundesweit für alle Kommunen bei der Vergabe von wohnungsbau-relevantem Bauland gelten. Konzeptvergabe für Wohnraum betrachtet sozialpolitische, städtebauliche, ökologische und über den Verwendungszyklus hinweg bestehende ökonomische Kriterien vor der Ausschreibung. Kommunale Siedlungspolitik muss zielgerichtet und langfristig erfolgen. Sie darf sich dabei nicht von kurzfristigen finanziellen Anreizen beeinflussen lassen.
Prozesse in den Bauämtern
Heutzutage beanspruchen Baugenehmigungen zunehmend mehr Zeit. Dies liegt zum einen an der steigenden Anzahl an Akteuren und Vorschriften im Laufe des Bauverfahrens, allerdings auch massiv an einem Personalmangel auf den verschiedenen Bauämtern [113]. Da die Kommunen zur Kostenreduktion ihr Personal auf den Ämtern abbauten, verlängerten sich die Bearbeitungszeiten, weswegen mancherorts Jahre auf Baugenehmigungen gewartet werden muss.
Bauämter sollten sich wieder mehr als Dienstleister der Bauwirtschaft verstehen, welche kommunale Bauplanung prüft und lenkt, diese jedoch nicht bewusst behindern sollte [114]. Verzögerungen bei Planung und Bauablauf können langfristig zu einer weiteren Teuerung der Immobilie führen, welches vor allem zu Lasten möglicher zukünftiger Mieter fallen kann. Bauämter sollten die Bauprozesse daher bewusst begleiten und zusammen mit dem Bauträger sowohl die Einhaltung der Regularien gewährleisten als auch Kosten- und Zeiteffizient arbeiten.
Auf den Ämtern muss wieder ein weitreichender Personalaufbau erfolgen, um die auch zukünftig größer werdende Baulast von kommunaler Seite auch bearbeiten zu können. Es empfiehlt sich auch Bebauungspläne bereits langfristig auf zukünftige Stadtentwicklungsmaßnahmen und -Entwicklung hin anzupassen anstatt diese stets ad-hoc im Rahmen neuer Einzelprojekte partiell anzupassen [115]. Wichtiger Aspekt ist dabei auch die Digitalisierung auf den Bauämtern um Prozesse allgemein zu beschleunigen [116] und Innovationen Raum bieten zu können [117].
Reform der Landesbauordnungen
Bauvorschriften gehören zu den Grundpfeilern des modernen Bauens. Sie sorgen dafür, dass zum einen strukturelle als auch energetische und sicherheitstechnische Anforderungen an das Bauwerk eingehalten werden. Vor allem die deutschen Baunormen und -ordnungen beschreiben sehr akribisch ihre einzelnen Komponenten. Auch wird klar beschrieben mit welchen Maßnahmen bautechnische Anforderungen zu erfüllen sind. Jedoch gab es seit 1990 eine Vervierfachung der Bauvorschriften von 5000 auf 20.000 [118]. Dies sorgt vor allem in der Menge an Vorschriften zu klaren Kostenerhöhungen und erschwert gleichzeitig innovative Lösungsansätze bei Neubauprojekten [119]. Die Baupreise sind in den letzten Jahren unverhältnismäßig gestiegen. In den vergangenen Jahren waren auch die gestiegenen baurechtlichen Anforderungen bspw. zur Energieeinsparung aber auch für Brand- und Schallschutzauflagen einer der größten Preistreiber bei der Kostensteigerung im Bausektor [120].
Darüber hinaus besteht in deutscher und europäischer Gesetzgebung eine energiepolitische Zieltrias[121] aus den drei zu steigernden Ergebnisgrößen CO2-Einsparung, Energieeffizienz und Ausbau des Anteils erneuerbarer Energiequellen. Die Bundesregierung bekannte sich im Rahmen des Wohngipfels [14] zu den nationalen, EU- und Pariser Klimazielen in dieser Form. Zentraler Bestandteil ist stets eine Energieeffizienzstrategie, aus welcher Gesetzgebungen abgeleitet werden, die detailliert Vorgaben zu Bau und Sanierung festsetzen. Ein erster Schritt kann hierbei sein, die 16 Landesbauordnungen auf eine bundesweite Bauordnung zu reduzieren. Da diese sich bereits auf die allgemeine Musterbauordnung der ArgeBau beziehen, wäre hierbei auch kein neues Regelwerk notwendig. Dies würde gerade überregional agierenden Akteuren eine deutliche Kostenersparnis durch geringeren Planungsaufwand bringen. In zweiter Instanz zur Vereinfachung und Fokussierung der Baunormenstruktur bietet sich das Vorbild der Niederlande an [119]. Hier werden, anstatt detaillierte Vorschriften zum Erreichen der Energieeffizienz aufzulegen, nur die Zielsetzung zur Energieeffizienz bzw. der CO2-Einsparung aufgegeben.
Daher müssen die 16 Landesbauordnungen auf eine einheitliche Bundesbauordnung reduziert und diese teilweise durch einen Fokus auf Zielkenngrößen anstatt Detailbeschreibung vereinfacht werden. Somit könnte man nicht nur effizienter, sondern auch innovativer an Baumaßnahmen herangehen.
Forderungen
Planung und Vergabe von Bauprojekten müssen zielgerichteter erfolgen. Daher sollten Bauprojekte nach Konzept anstatt nach monetären Gesichtspunkten vergeben werden. Im gleichen Zuge gilt es die Bauämter zu unterstützen, Boden öffentlich zu bevorraten und die Landesbauordnungen abzuschaffen, um Planung & Vergabe effizienter zu gestalten.
- Öffentliche Bodenbevorratung fördern
- Konzept- anstatt Höchstbietervergabe
- Bauämter effizienter gestalten und unterstützen
- Landesbauordnungen in eine Bundesbauordnung überführen und auf Zielgröße anstatt bauteilspezifisch ausgestalten
2.5 Steuerliche Rahmenbedingungen
Die bestehende Grundsteuer wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft [122]. Daher wurde im Sommer 2019 eine Neuregelung beschlossen. So soll die Grundsteuer zukünftig nicht nur den Gebäudewert, sondern auch Mieteinnahmen berücksichtigen. Allerdings erhielt der Beschluss auch eine Sperrklausel, welche den Ländern ermöglicht andere Bewertungsverfahren heranzuziehen. Für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Mietwohngrundstücke soll ein vereinfachtes Verfahren gelten. Hinzu kommt die bereits übliche kommunale Anpassung durch Hebesätze [123]. Dieses Verfahren wird von verschiedenen Seiten kritisiert [124], [125].
Wer Wohneigentum erwerben möchte, egal ob Wohnung, Haus oder Grundstück, sieht sich vielerorts mit Erwerbsnebenkosten konfrontiert, die 10% des Kaufpreises überschreiten [126] und somit eine zusätzliche Mehrbelastung für Privatpersonen darstellen, da Immobilienfirmen dies meist durch sog. Share Deals (Firmen- anstatt Hauserwerb in Zusammenarbeit mit Banken) umgehen können. Hier gilt es gesellschaftliche Kostengerechtigkeit wiederherzustellen. Als Teil davon stellen auch die damit oft verbundenen Maklergebühren eine zunehmende Mehrbelastung beim Eigentumserwerb dar [127]. Um Grundstückserwerb zu vermeiden und somit Kosten zu senken, bieten sich Erbpachtverträge an, bei denen der Grund in kommunaler Hand verbleibt, jedoch die Grundstücksbewirtschaftung (bspw. zum Wohnen) erblich verpachtet wird.
Im Lebenszyklus von Gebäuden sind regelmäßige Modernisierungen üblich. Die Dauer dieser Lebenszyklen hat sich durch die stete technologische Weiterentwicklung verkürzt [128]. Die üblicherweise angesetzten 50 Jahre zur steuerlichen Abschreibung von Wohnimmobilien deckt sich nicht mit der wohnwirtschaftlichen Realität. Eine Anpassung der Abschreibungsregulierung erscheint vor allem im Zuge energetischer Sanierungsnotwendigkeiten angebracht [129].
Grundsteuer
Das aktuelle Modell der Grundsteuer wurde kürzlich als verfassungswidrig eingestuft [122] und wurde nun von der Bundesregierung durch ein neues System ersetzt, welches jedoch von den Ländern angepasst werden kann [123]. Kritik kommt diesem System vor allem aufgrund seiner Komplexität und möglicherweise gesellschaftlich unfairer Ausgestaltung entgegen [124], [125]. Daher macht es Sinn sich die verschiedenen Optionen für eine Grundsteuererhebung zu betrachten und mit dem nun angedachten neuen Status Quo zu vergleichen.
Prinzipiell kann man hier zwischen wertabhängigen und wertunabhängigen Grundsteuermodellen unterscheiden, welche man lokal durch Hebesätze anpassen kann. Während beim ersten auch die Bebauung des Grundstückes berücksichtigt wird, obliegt dem zweiten ausschließlich nur die Grundstücksfläche als Datengrundlage. Insgesamt ergeben sich 4 Erhebungsmodelle:
- Grundsteuerbetrag nach Bodenrichtwert: Hier wird ausschließlich der Bodenrichtwert mit der Grundstücksfläche verrechnet. Dieser basiert auf dem Wert des Bodens, des Gebäudes und seiner Lage.
- Kostenwertmodell: Hier wird der Bodenrichtwert zusätzlich mit den geschätzten Herstellungskosten für das Gebäude verrechnet.
- Flächenmodell: Dieses berücksichtigt ausschließlich die Grundstücksfläche und wahlweise auch die Bruttogeschossfläche [130].
- „Scholz-Modell“: Beim nun beschlossenen Modell soll neben dem Bodenrichtwert und Grundstücksfläche die Nettokaltmiete in die Grundsteuer verrechnet werden [131].
Als Ansprüche an die reformierte Grundsteuer sollte dabei gelten, dass diese aufkommensneutral erfolgt (keine Verluste/Gewinne für die Kommunen) und gesellschaftlich fair ist. Im Sinne des Bürokratieabbaus wird zusätzlich gefordert, dass die neue Grundsteuer transparent und einfach zu ermitteln sein sollte [132]. Allein durch diese Kriterien lassen sich alle bis auf das Flächenmodell ausschließen. Da hierbei stets komplexe und teilweise intransparente Berechnungsverfahren angewendet werden müssen, um die Grundsteuer zu berechnen. Hinzu kommt die umfangreiche Datenerhebung bspw. für die Bestimmung des Bodenrichtwertes und anderer Faktoren. Eine Erhebung der Grundsteuer allein aus der Grundstücksfläche ist in mehrfacher Hinsicht von Vorteil. Zum einen ist die Datenerhebung und Berechnungsgrundlage sehr einfach, zum anderen fördert sich eine optimale Nutzung der Grundstücksfläche. Um jedoch einer eventuell unnötigen Versiegelung vorzubeugen, könnte man mit einem Grünflächenfaktor als zusätzliches Instrumentarium ins Spiel bringen. Letztlich bestimmen jedoch die Kommunen über ihre Hebesätze die genaue Höhe der zu erbringen Grundsteuer. Zur räumlichen und gesellschaftlichen Differenzierung könnten Hebesätze in Zukunft Stadt- und Ortsteil-spezifisch ausgelegt werden, so dass diese auch fair die lokalen Einkommensstrukturen berücksichtigen können. Zusätzlich können jedoch auch wieder Ausnahmen wie bspw. für den sozialen Wohnungsbau geschaffen werden, um Mieten niedrig zu halten.
Auch wenn die aktuell voranschreitende Grundsteuerreform vorerst als abgeschlossen gilt, so ermöglicht die Öffnungsklausel den Ländern auf fairere und transparentere Modelle umzusteigen. Von diesen sollte das Flächenmodell bevorzugt Anwendung finden.
Erwerbsnebenkosten
Erwerbsnebenkosten machen in vielen Fällen bereits mehr als 10% der Gesamtkosten beim Kauf eines Hauses oder einer Wohnung aus. Neben Notarkosten von 1.5% und dem Grundbrucheintrag von 0.5%, stehen vor allem die Grunderwerbsteuer mit 4.5 – 6.5% (je nach Bundesland, vormals 3.5% bundesweit bis 2009) und die Maklerprovision von 3 – 6% zzgl. Mehrwertsteuer (0.57- 1.14%) als Preistreiber an. Meist wird mindestens erwartet, dass die Nebenkosten vom Eigenkapital gedeckt werden können [126]. Die Grunderwerbsteuer ist ein signifikanter Bestandteil des Steuerhaushalts der Länder weswegen dieser besonders dafür genutzt wurde, um deren Entschuldung voranzutreiben, was jedoch zu einem teils deutlichen Steueranstieg führte [133]. So kam es zu einer unverhältnismäßigen Belastung von Privathaushalten, da große Immobilienunternehmen den Hauserwerb über Share Deals verwässerten und damit die Grunderwerbssteuer umgingen und Steuereinbußen von womöglich einer halben Milliarde Euro pro Jahr [134] [135] erzeugten. Somit haben gerade Unternehmen einen klaren Steuervorteil gegenüber privaten Hauskäufern.
Um in diesem Segment wieder einen gesellschaftlichen Ausgleich herzustellen, bieten sich verschiedene Anpassungsmaßnahmen an. So schlagen [133] vor, die Grunderwerbsteuer bei privaten Bauvorhaben oder dem Erwerb eines Neubaus zu reduzieren bzw. gänzlich auszusetzen. Dies begründet sich durch die Anwendung der Mehrwertsteuer, die in vielen Komponenten des Neubaus fällig wird und für welche die Grunderwerbsteuer eigentlich der Ersatz sein sollte. Diese Option ist in den Niederlanden und Belgien schon länger Praxis. Daneben bietet sich die Einführung eines Stufentarifs der Grunderwerbsteuer an, gekoppelt an den Immobilienerwerb, um gerade Geringverdienern den Eigentumserwerb zu erleichtern. Um die Steuerlücke von Share-Deals zu schließen empfiehlt es sich, Unternehmenskäufe grundsätzlich mit Mehrwertsteuer zu belasten. Dies könnte auch eventuelle Reduktionen aus dem Aussetzen der Grunderwerbsteuer kompensieren. Um Privatpersonen beim Eigentumserwerb zur einzigen selbstgenutzten Immobilie zusätzlich zu entlasten, könnte man beispielsweise die Grunderwerbsteuer aussetzen insofern energetische Sanierungen bspw. gemäß KfW Förderung durchgeführt werden. Um Mieter zu entlasten wurde bereits 2015 das Bestellerprinzip bei der Vermietung eingeführt. Eine Anwendung auf Immobilienkäufe würde sich jedoch als schwierig gestalten, da die Verkäufer bei der aktuellen Marktlage die Gebühren 1:1 auf den Verkaufswert aufschlagen könnten, wäre, trotz erwartbaren Wettbewerbs, diese Maßnahme aktuell nicht zielführend [127]. In anderen Ländern, wo das Bestellerprinzip bei Maklern schon länger gegeben ist, pendelten sich die Provisionen auf 1-2% ein. Bis sich die Marktlage in Deutschland entsprechend entwickeln würde, könnte man die Provision auf 3-4% deckeln und ähnlich der Immobilienmiete von der Mehrwertsteuer befreien.
Bei der aktuellen Marktlage und zunehmend größer werdenden finanziellen Belastung durch Miete und Immobilienkauf durch Privatpersonen ist eine Reduktion der Erwerbsnebenkosten sowohl bei Neubau und Erwerb notwendig. Gleichzeitig müssen Share Deals als Steuerschlupflöcher vermieden werden. Eine allgemeine Reduktion bzw. Staffelung der Grunderwerbsteuer kann somit vor allem Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen beim Eigentumserwerb unterstützen.
Steuerliche Abschreibungen
Durch neue Technologien und regelmäßigem Modernisierungsbedarf in Bestandsbauwerke ergibt sich die Frage zur Anpassung der Abschreibungsdauer für Wohngebäude [129].
Während Gewerbeimmobilien mit einer Abschreibungsdauer von nur 30 Jahren deutlich kürzeren Zeitskalen unterliegen, damit den Unternehmen Kapital früher wieder zum Reinvestieren zur Verfügung steht, werden bei Wohngebäuden nach wie vor 50 Jahre (2% pro Jahr) angesetzt. In Folge von kürzeren Lebensdauern von Gebäudekomponenten [128] und einem langfristig größeren Investitionsbedarf (z. B. [136]) wäre Erhöhung der Abschreibung auf 3,5 [137] oder sogar 4% [138] möglich.
Die steuerliche Abschreibungsdauer von Mietshäusern soll zukünftig auf 40 oder sogar 25 Jahre verkürzt werden, um eher Kapital für zukünftige Investitionen zeitnah wieder zur Verfügung zu haben.
Forderungen
Die Grundsteuer wird derzeit reformiert, Bemessung nach Fläche ist hier jedoch das fairste und transparenteste Modell. Um Eigentumsbildung zu fördern und Privatpersonen zu entlasten, müssen auch die Erwerbs- und Baunebenkosten reduziert sowie die Abschreibungsdauern verkürzt werden.
- Grundsteuer als Flächensteuer einführen
- Erwerbsnebenkosten reduzieren
- Steuerliche Abschreibungen erhöhen
3. Zusammenfassung der Forderungen
Nachhaltige und langfristige Stadtentwicklung – Großstadtumfeld anbinden und aufwerten
Das städtische Umfeld muss sich nachhaltig weiterentwickeln, sowohl in Höhe als auch der Fläche im Sinn der Anbindung des Umlands. Dazu sind bürokratische Hürden abzubauen, die Region stärker mit der Stadt zu vernetzen und barrierefreie Wohnungen zu fördern, um auf aktuelle und zukünftige Veränderungen der Gesellschaft vorbereitet zu sein.
- Hochhäuser für effiziente Flächennutzung und Innenentwicklung fördern
- Umland an- und einbinden
- Ländlichen Raum attraktiver machen
- Nachhaltige Baumaterialien nutzen
- Alternative Wohnformen unterstützen
- Pflegesystem durch altersgerechte Bauweise entlasten
Sozialen und bezahlbaren Wohnraum nachhaltig fördern
Sozialer, bezahlbarer Wohnraum muss langfristig von öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand gefördert werden, dazu gehört eine stetige Finanzierung von sozialem Wohnungsbau und die Förderung von Wohnungsgenossenschaften.
- Finanzierung von sozialem Wohnungsbau verstetigen und Fehlbelegungen über Ersatzwohnraum kompensieren
- Öffentliche Wohnungsunternehmen erhalten
- Wohnungsgenossenschaften fördern
- Enteignungen vermeiden
Wer Platz verschwendet, wo Platz gebraucht wird, handelt unsozial!
Gentrifizierung, Wohnungsleerstand und Subventionskonstrukte vermeiden
Milieus verändern sich, doch gerade gewachsene Gesellschaftsstrukturen sollten geschützt werden, wo nötig. Im gleichen Maße darf ungenutzter Wohnraum jedoch nicht vergessen werden, während Subventionen gesellschaftliche Ungleichheiten befördern könnten. Diese gilt es zu vermeiden.
- Milieus schützen ohne Investitionen zu vermeiden
- Wohnungsleerstand bekämpfen und Spekulationen verhindern
- Unnötige Subventionskonstrukte abschaffen
Zielgerichtete Planung und langfristige Perspektive
Planung und Vergabe von Bauprojekten müssen zielgerichteter erfolgen. Daher sollten Bauprojekte nach Konzept anstatt nach monetären Gesichtspunkten vergeben werden. Im gleichen Zuge gilt es die Bauämter zu unterstützen, Boden öffentlich zu bevorraten und die Landesbauordnungen abzuschaffen, um Planung & Vergabe effizienter zu gestalten.
- Öffentliche Bodenbevorratung fördern
- Konzeptvergabe anstatt Höchstbieter
- Bauämter effizienter gestalten und unterstützen
- Baugenehmigungen befristen
- Landesbauordnungen in eine Bundesbauordnung überführen
Mit zielbewusster Weitsicht lässt sich würdiger und bezahlbarer Wohnraum schaffen!
Grundsteuer reformieren, Nebenkosten reduzieren und Abschreibungen erhöhen
Die Grundsteuer ist im Zuge der Reform, eine Bemessung nach Fläche ist hier jedoch das fairste und transparenteste Modell. Um Eigentumsbildung zu fördern und Privatpersonen zu entlasten, müssen auch die Erwerbs- und Baunebenkosten reduziert sowie die Abschreibungsdauern verkürzt werden.
- Grundsteuer als Flächensteuer einführen
- Erwerbsnebenkosten reduzieren
- Steuerliche Abschreibungen erhöhen
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