Zensur in Unterhaltungsmedien
Grundsätzlich soll der Staat nicht bestimmen, was für ein erwachsenes Individuum richtig ist und welche Entscheidungen es für das eigene Leben trifft.
Vorwort
In diesem Impulspapier behandeln wir das Thema „Zensur in Unterhaltungsmedien“.
Leitidee dieses Impulspapieres war es, rationale und liberale Lösungen für Problemfelder zu präsentieren, die von den meisten anderen Parteien kaum beachtet werden, obgleich sich die jetzige Gesetzeslage noch immer an dem überholten wissenschaftlichen Stand und den Sitten von vor Jahrzehnten orientiert. Diesen Missstand wollen wir beenden.
Dazu haben wir umfassend Fakten zusammengetragen und uns mit Fachexperten von for uncut, einer der weltweit größten Bewegungen gegen Videospielzensur, eingehend beraten. Herausgekommen ist dieses Impulspapier mit klaren Antworten zu verschiedenen Debatten in der modernen Medienlandschaft.
In diesem Impulspapier beziehen wir Stellung zur Indizierung, dem strafrechtlichen Gewaltdarstellungsverbot, zu Altersfreigaben und zur rechtlichen Ungleichbehandlung von Videospielen und Filmen.
Unser Ziel als Partei der Humanisten ist es, den Herausforderungen, die das 21. Jahrhundert in der sich unaufhaltsam verändernden Medienrealität mit sich bringt, mit neuen Ansätzen zu begegnen, anstatt uns auf einem konservativen, vorwissenschaftlichen „Das machen wir schon immer so“ auszuruhen.
Wir streben eine Welt an, in der auch die deutschen Konsumenten von neuen Medien wie Filmen oder Videospielen wie mündige und selbstbestimmte Bürger behandelt werden – getreu unserem Leitbild.
1. Indizierung
Was ist eine Indizierung überhaupt?
Eine Indizierung ist die Folge, wenn ein Unterhaltungsmedium von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) geprüft und als jugendgefährdend eingestuft wird.
Es wird dabei auf den sogenannten Index gesetzt. Eine Indizierung stellt jedoch kein Verbot dar, sondern ist mit der Einstufung „keine Jugendfreigabe“ zu vergleichen. Jedoch unterliegt das betroffene Medium in diesem Fall besonders schweren Auflagen.
Das ist zunächst das absolute Werbeverbot.
Es darf nicht für das Medium geworben werden. Selbst die reine Nennung des Namens dieses Mediums kann hier bereits als Werbung ausgelegt werden. In Geschäften dürfen derart eingestufte Medien grundsätzlich nur „unter dem Ladentisch“ verkauft werden, also nicht in Regalen, die möglicherweise auch Jugendliche zu sehen bekommen könnten. Handelt es sich bei dem Medium um einen Film, darf dieser nicht ausgestrahlt werden.
Auch über den Versandhandel dürfen derartig gekennzeichnete Medien nur unter strengen Auflagen verschickt werden. Beispielsweise muss das Medium als „Einschreiben Eigenhändig“ versendet werden, was das Porto stark steigen lässt.
Zuletzt dürfen indizierte Medien im Grundsatz auch nicht im Wege des Versandhandels eingeführt werden [1].
Halten die Verbote, was sie versprechen?
Die Rechtsfolgen der Indizierung der BPjM gehen an der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen und der generellen Medienrealität bzw. dem technischen Fortschritt vorbei.
Durch das Internet ist es ohne Weiteres möglich, unkompliziert angeblich jugendgefährdende Medien zu konsumieren. Der als jugendgefährdend und sogar als strafrechtlich relevant geltende Film Brain Dead vom Herr-der-Ringe-Regisseur Peter Jackson ist beispielsweise auch in Deutschland in voller Länge auf YouTube zu finden.
Indizierte Computerspiele können problemlos von (auch offiziell lizenzierten) Key-Resellern erworben werden und zum Teil ohne Probleme etwa auf der Steam-Plattform aktiviert werden – teilweise ist der Kauf sogar jugendaffin mit der Bezahlmethode Paysafe Card ohne Alterskontrolle möglich. Zuletzt sind auch Raubkopien für jedermann ohne große Probleme zugänglich. Die Indizierung soll ein Werbeverbot darstellen, die jugendgefährdenden Inhalte/Medien sollen aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit rigoros verdrängt werden.
Dies hat früher besser funktioniert. So haben beispielsweise Spielemagazine lange selbst die Nennung von indizierten Spielen vermieden, da nicht zuletzt bis heute keinerlei Rechtssicherheit besteht, was Werbung in diesem Sinne überhaupt bedeutet. Heute sieht das, wie eben dargelegt, völlig anders aus. Hierzu tragen nicht zuletzt große Videoportale wie Twitch und Youtube bei, die für jeden Jugendlichen mit Internetanschluss zugänglich sind. Auf ihnen findet man Tausende von Videos/Streams zu allen indizierten Spielen [2].
Was sagt das Grundgesetz?
Darüber hinaus stellt eine Indizierung nichts weniger als einen starken Eingriff in Grundrechte, allen voran die Meinungsfreiheit (genauer: die Kunstfreiheit) aus Artikel 5 Abs. 3 GG dar. Als solcher ist sie nur probat, wenn die angenommene Jugendgefährdung die Kunstfreiheit überwiegt (praktische Konkordanz). Diese Abwägung findet (bei Videospielen) regelmäßig bestenfalls oberflächlich statt [3].
Generell scheint die Ermittlung eines scheinbar quantifizierbaren Kunstgehaltes, wie von höchstrichterlicher Rechtsprechung verlangt, einer aufgeklärten Demokratie unangemessen und kann nicht im Rahmen einer Indizierungsentscheidung adäquat gelingen. Auch sollte sich keine Bundesbehörde zum Richter der Kunst erklären dürfen.
Die Verhältnismäßigkeit der Indizierung muss gewahrt werden (Verhältnismäßigkeitsprinzip), was angesichts der fragwürdigen tatsächlichen Wirkung der Indizierung nicht mehr gegeben scheint. Dies gilt im Besonderen bezüglich des Forschungsstandes zu Gewalt in Computerspielen, der derartige restriktive Maßnahmen rechtfertigen soll; die sog. Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers wird hier seit langem überstrapaziert und verfügt inzwischen nicht mehr über ein tragfähiges wissenschaftliches Fundament der Rechtfertigung, wie wir im Folgenden darlegen werden.
Killen Killerspiele?
Der Begriff des Killerspiels, der sich zunächst allein auf Spiele wie Paintball bezog, wurde 1999 durch den damaligen bayerischen Innenminister Günther Beckstein populär. Nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahre 2002, nach welchem man bei dem Täter Videospiele fand, wurde dieser Begriff im öffentlichen Diskurs auch auf gewalthaltige Computerspiele ausgeweitet [4].
Dass der Begriff des Killerspiels wissenschaftlich allerdings nicht haltbar ist, zeigen bisherige Studien klar auf, aus denen keinerlei Kausalität zwischen Amokläufen und gewalthaltigen Videospielen hervorgeht [5]. Obwohl dies mittlerweile auch die meisten (Boulevard-)Medien eingesehen und aufgehört haben, statt wie noch vor einigen Jahren nach jedem Amoklauf die Spielebibliothek des Täters für dessen Taten (mit-)verantwortlich zu machen, gibt es insbesondere in konservativen politischen Kreisen immer noch Stimmen, die dieser einfachen Denkweise folgen, anstatt eine rationale Gesamtbetrachtung von Faktoren wie Mobbing vorzunehmen und die Probleme wirksam anzugehen.
National hat sich hier in den letzten Jahren insbesondere der ehemalige CDU-Innenminister Thomas de Maizière, international vor allem US-Präsident Donald Trump, hervorgetan, indem sie diese wissenschaftlich haltlose These weiter verbreitet haben. Schaut man sich die Statistiken an, spielen diejenigen, die Gewalt an Schulen ausüben, eher weniger Computerspiele. Im Gegensatz dazu sollen sich 70 Prozent der männlichen Schüler regelmäßig mit Killerspielen auseinandersetzen und kein auffälliges Verhalten im Unterricht zeigen.
Angesichts dessen, dass Videospiele im Leben von Millionen von Jugendlichen einen festen Platz einnehmen, ist es natürlich fast zwangsläufig gegeben, dass auch Gewalttäter zu den Videospielkonsumenten gehören. Der Schluss daraus, dass deren Gewaltpotential auf diesen Konsum zurückzuführen ist, stellt daher einen Fehlschluss dar. Nicht umsonst veröffentlichte die amerikanische Gesellschaft für Psychologie im Jahre 2017 unter Berufung auf zahlreiche Studien einen offenen Brandbrief gegen das beliebte Verknüpfen des Spielekonsums mit Gewalttaten [6].
Um dieses konservative Pseudo-Argument ein für alle Mal zu entkräften, veröffentlichte Dr. Eugen Pfister, Leiter des Forschungsprojekts Horror-Game-Politics an der Hochschule der Künste Bern, ein Plädoyer für eine argumentenbasierte Debatte zur Wirkung gewalthaltiger Spiele auf seinem Blog, in welchem er den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität in der Forschung deutlich herausarbeitete und anhand von Statistiken belegte [7].
Zensur und wirtschaftlicher Totalverlust?
Eine Indizierung bedeutet faktisch den wirtschaftlichen Totalverlust für den inländischen Vertrieb, was durchaus auch im Sinne des Gesetzgebers angesichts der restriktiven Rechtsfolgen sein dürfte, und erzwingt daher Selbstzensur, um eine kompatible Fassung des Kunstprodukts zu erstellen. Ein regulärer Vertrieb indizierter Medien innerhalb Deutschlands ist extrem schwierig: Online-Altersverifikationssysteme (AVS) für geschlossene Nutzergruppen zur rechtskonformen Zugänglichmachung auf Listenteil A und C indizierter bzw. zu ihnen im Wesentlichen inhaltsgleicher Medien findet außerhalb der einfachen Pornographie aus nachvollziehbaren Gründen keine tatsächliche Verbreitung.
Durch Geolocks, insbesondere auf der Videospieleplattform Steam, kann die Indizierung ein Totalverbot konstruieren, da sich Anbieter nicht in der Lage sehen, derartige Spiele rechtssicher anbieten zu können. Dies trifft Erwachsene unter Umständen härter als rebellische Jugendliche, die schlicht auf Raubkopien oder VPN-Aktivierungen unter Umgehung von AGB der Spieleplattformen zurückgreifen.
Auf den Konsolen bestehen keine solchen Geolocks, da physische Versionen bis dato keinen DRM-Aktivierungszwang haben. Die Indizierung auf Listenteil B (oder D) bedeutet faktisch ein strafrechtliches Verbot durch ein undemokratisches und nicht zwingend strafrechtlich kompetentes Gremium. Dies ist verfassungsrechtlich besonders bedenklich.
Die Frist für eine automatische Listenstreichung ist mit 25 Jahren viel zu lang.
Diverse indizierte Computerspiele erhielten heute aufgrund einer Liberalisierung der Spruchpraxis unzweifelhaft eine USK-Jugendfreigabe, es findet sich aber schlicht kein Anbieter für den kostenpflichtigen (niedrig vierstelligen) Antrag auf Listenstreichung.
Medien, bei denen jugendschutzrelevante, gerichtliche Beschlagnahmebeschlüsse anhängig sind, verjähren nie vollends; eine Aufhebung dieser strafrechtlichen Verbote ist mit hohem Aufwand verbunden und die BPjM sieht ihren Ermessensspielraum durch die Gerichtsurteile überlagert, weshalb sie immer eine Folgeindizierung ausspricht. Die geheimen Indizierungslisten für Telemedien C und D sind an sich schon angesichts der geltenden Informationsfreiheit fragwürdig – eine Erklärung erübrigt sich. Tatsächlich der Indizierung würdige real-pädophile Darstellungen oder Ähnliches finden ohnehin keine kommerzielle Verbreitung bzw. keinen Vertrieb wie auch in anderen europäischen Ländern.
Keine andere westliche Demokratie hat eine mit der BPjM vergleichbare Behörde bzw. ein derartig umfangreiches und einschneidendes Medienregulierungssystem, das faktisch einem Zensursystem gleicht [8].
Über die bereits angesprochenen Aspekte hinaus wollen wir als liberale Partei auch noch den für uns besonders wichtigen Aspekt der Selbstbestimmung eines jeden Einzelnen beleuchten. Wie es in unserem Leitbild heißt, ist die individuelle Freiheit aus unserer Sicht die wichtigste Voraussetzung, um ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen.Der Mensch ist eigenverantwortlicher Gestalter seines Lebens und der Gesellschaft. Grundsätzlich soll der Staat nicht bestimmen, was für ein erwachsenes Individuum richtig ist und welche Entscheidungen es für das eigene Leben trifft. Der Staat sollte nicht als Vormund seiner Bürger auftreten. Vielmehr hat er die Aufgabe, neben anderen Rechten insbesondere die individuelle Freiheit zu gewährleisten und zu schützen.
Aus diesem Grund sehen wir es als unsere Pflicht an, der individuellen Freiheit jedes Einzelnen höchste Bedeutung einzuräumen, speziell dann, wenn selbst dem erwachsenen und mündigen Bürger von Staatsseite aus Verbote auferlegt werden, aber auch dann, wenn noch unmündige Bürger in ihren Grundfreiheiten beeinträchtigt werden, ohne dass dies wissenschaftlich plausibel begründet wäre.
Fazit
Die Partei der Humanisten sieht die Indizierung als das, was sie ist:
Eine Methode, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen ist und sowohl Konsumenten als auch Unternehmer in ihren individuellen Freiheiten einschränkt, ohne hierfür eine faktenbasierte Rechtfertigung liefern zu können.
Folglich fordern wir die ersatzlose Abschaffung dieses Relikts christlich-konservativer Verbotskultur.
2. Strafrechtliches Gewaltdarstellungsverbot (§ 131 StGB)
Was ist das strafrechtliche Gewaltdarstellungsverbot überhaupt?
Der § 131 StGB statuiert ein Verbot von Darstellungen gewaltverherrlichender und -verharmlosender Schriften. Der Paragraph wurde im Zuge der 4. Strafrechtsreform vom 23.11.1973 in das StGB eingefügt. Die Beschlagnahmung zieht ein totales Handelsverbot nach sich und führt zur Bestrafung des Herstellers mit bis zu einem Jahr Haft oder Geldstrafe und zur Vernichtung der Masterkopie des betroffenen Mediums.
Das Verfahren findet oft in Abwesenheit des Angeklagten statt und es werden unterschiedliche, teilweise unkonkrete Kriterien („menschenähnliche Wesen“) für das Verbot herangezogen. Das Gewaltdarstellungsverbot soll die Wahrung des öffentlichen Friedens gewährleisten. Außerdem zielt das Verbot auf die Verdeutlichung der Risiken exzessiver Gewaltdarstellung ab.
Dabei geht der Gesetzgeber von dem lerntheoretischen Ansatz aus, wonach durch die mediale Gewalt beim Konsumenten Lernprozesse in Gang gesetzt werden: Gewalt in Videospielen würde vermeintlich bagatellisiert und dadurch Jugendliche desensibilisiert werden. Man befürchtet eine Förderung der realen Gewaltbereitschaft [9].
Was sind die Folgen?
Das verfassungsrechtliche Hauptproblem der Norm ist, dass, wie oben ausgeführt, keine allgemein anerkannten wissenschaftlichen Nachweise für die behauptete schädliche oder aggressionsfördernde Wirkung von gewaltverherrlichenden Medien vorliegen.
Beispielhaft sind die Niederlande, in denen noch nie ein derartiges Verbot bestand.
Trotzdem ist dort keine erhöhte Gewaltbereitschaft festzustellen. Dadurch ist dieses Verbot, alleine bezogen auf die Frage, ob die damit einhergehenden Grundrechtseinschränkungen, insbesondere die der Meinungs- (spezieller: der Kunstfreiheit), der Rundfunk- , Presse- und Filmfreiheit gerechtfertigt werden können, bereits zweifelhaft, wie Prof. Dr. Bernd Heinrich es in seinem Beitrag Entkriminalisierung von Gewaltdarstellungen für das Kriminalpolitische Forum ausführt.
Zur Anwendung komme die Norm zwar kaum, trotzdem habe sie im Medienbereich einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Rundfunk und Fernsehen, schreibt er [10]. Dadurch, dass die Norm so unbestimmt ist, führe sie außerdem zu erheblicher Rechtsunsicherheit bei den Entwicklern und damit, wie im Falle der Indizierung, zur vorauseilenden Selbstzensur.
Selbst eine kontextlose YouTube-Aufnahme aus der Foltermission des USK ab 18 Jahren gekennzeichneten Grand Theft Auto V sei laut der Landesmedienanstalt MAHSH strafrechtlich relevant. Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen des §131 StGB liefert das strafrechtlich verbotene Manhunt der GTA-Macher Rockstar. Dabei handelt es sich bei dem Werk sogar um eine gewaltkritische (!) und überspitzte Medien- und Gewalt-Satire in Anlehnung an den Roman Running Man.
Es muss auch hier kritisch hinterfragt werden, ob der Staat überhaupt so weit gehen darf, solch ein zensierendes und rechtlich unklares Verbot zu erlassen. Aber auch abseits dieser wichtigen verfassungsrechtlichen Fragestellungen werden durch den §131 StGB Grundrechte von mündigen Bürgern auf der Basis einer wissenschaftlich nicht haltbaren und äußerst zweifelhaften Begründung eingeschränkt [11].
Fazit
Die Partei der Humanisten fordert die ersatzlose Streichung des §131 StGB, da dessen Begründung, die auf der Annahme vermehrter Gewalttaten basiert, wissenschaftlich betrachtet nicht haltbar ist. Auch hier scheint insbesondere ein Law-and-Order-Populismus Vater des Verbotes zu sein. Durch den §131 StGB werden Grundrechte eingeschränkt, obwohl es dafür keine ausreichende Rechtfertigung gibt.
Wir finden: Der Staat hat nicht darüber zu urteilen, was der mündige Bürger konsumiert, solange keine Grundrechte Dritter verletzt werden – besonders, wenn sich sein Urteil nicht auf Fakten stützen kann.
Auch dieses konservative Relikt im Strafrecht muss endlich der Vergangenheit angehören.
3. Altersfreigaben
Wie sind Altersfreigaben in Deutschland überhaupt geregelt?
Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) ist eine freiwillige Einrichtung der Computerspielewirtschaft. Zuständig ist sie für die Prüfung von Computerspielen in Deutschland. Die USK ist im Jugendschutzgesetz sowie auch im Online-Bereich unter dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag als zuständige Selbstkontrolle staatlich anerkannt.
Im Bereich des Jugendschutzgesetzes erteilen staatliche Vertreter am Ende eines USK-Verfahrens die Alterskennzeichen. Ungeprüfte Filme und Spiele auf sog. Bildträgern (physische Medien) dürfen nach Jugendschutzgesetz des Bundes nur an Volljährige abgegeben werden (Erlaubnisvorbehalt, USK/FSK-Kennzeichnung für Jugendfreigabe nötig), während Telemedien einer Eigenbewertung der Anbieter unterliegen.
Die USK-Kennzeichen decken sich dabei erstaunlich stark mit denen der Pan European Game Information (PEGI), welche in über 30 europäischen Ländern genutzt wird und lediglich durch einen Fragebogen entsteht (wobei die Richtigkeit kontrolliert wird). Mittels International Age Rating Coalition (IARC) vergibt die USK, unabhängig hoheitlicher Verwaltungsakte, mittlerweile auch umsonst und automatisiert Einstufungen für Apps.
Im Beirat der USK, dem Gremium, welches die Ausrichtung der Arbeit der USK bestimmt und u.a. die Leitkriterien für die Begutachtung von Spielen verantwortet oder auch die Mitglieder der Sachverständigengremien und die USK-Sichter ernennt, sitzen unter anderem zwei Vertreter der Kirche [12].
Brauchen wir die USK?
Die im Handel verbindlichen Altersfreigaben der Einrichtungen der Selbstkontrolle der Industrie, USK bzw. FSK, die durch die Obersten Landesjugendbehörden (OLJB) vergeben werden, gehören zu den strengsten in der EU. Frankreich, Spanien und die allermeisten Bundesländer von Österreich kennen, wie viele andere Länder auch, schlicht keine im Handel verbindlichen Alterseinstufungen von Trägermedien, nur Einlasskontrollen im Kino (auch USA) – dennoch sind deren gesellschaftliche Ordnungen noch intakt.
Der Praxistest von Produkten, womit sich die USK brüstet, ist im Grunde ein Misstrauen in die Industrie und aufgrund der bereits bestehenden und überall in Europa erfolgreich angewandten PEGI-Kennzeichnung ein sinnloser und kostenintensiver Mehraufwand, der wohl zum Großteil der Industrie selbst aufgebürdet wird und hierdurch Medien in Deutschland für die Endkonsumenten unnötig verteuert [8].
Die vermeidbare Bürokratie und die Kosten, die dieser deutsche Sonderweg mit sich bringt, belasten allerdings vor allem auch kleine Unternehmen mit wenigen Ressourcen.
Durch den Beratungsdienst der USK werden teils bereits in der Entwicklung befindliche Spiele angepasst, um eine freigabefähige Version zu erstellen, die dann weltweit vermarktet wird, in Deutschland u.U. als „100% uncut“. Eine DVD von My little Pony aus dem Ausland kann bei Amazon nur mit eigenhändigem Versand und einer zusätzlichen Versandgebühr von 5 € erworben werden, online hingegen kann ein Anbieter von Telemedien auch tagsüber ohne Weiteres FSK/USK ab 18-Inhalte, z. B. einschlägige Horrorfilme, zugänglich machen, was faktisch keine Schutzwirkung bietet.
Gerade in Zeiten, in denen Streaming-/On-Demand-Plattformen, wie Youtube oder Twitch, und Spieleplattformen, wie Steam oder Origin, zu denen sich ohne Schwierigkeiten Zutritt verschafft und Ware altersunabhängig erworben werden kann, sich größter Popularität erfreuen, sind die Kennzeichnungen nichts Anderes als moralisierende Augenwischerei und meilenweit weg von der Lebensrealität der Heranwachsenden.
Gerade in Zeiten der Globalisierung und der Freihandelsabkommen passt diese Maßnahme auch mehr schlecht als recht in das Konzept eines geeinten Europas und eines gemeinsamen Marktes.
Fazit
Die Partei der Humanisten fordert die USK-Kennzeichnung zugunsten von PEGI abzuschaffen, um Bürokratie zu vermeiden und der Medienrealität des Internetzeitalters Rechnung zu tragen. Die PEGI-Kennzeichnung soll dabei wie in zahlreichen anderen Staaten in Europa lediglich als Hinweis für Erziehungsberechtigte dienen, so dass diese einschätzen können, ob das Medium der Entwicklung ihres Kindes angemessen ist.
Verbindliche Altersangaben sind im Internetzeitalter als gescheitert anzusehen und dienen nur noch moralisierender Augenwischerei. Das Kriterium der Mitgliedschaft in einer bestimmten religiösen/weltanschaulichen Vereinigung darf bei der Bewertung von Medien keine Rolle spielen. Der Fokus sollte stattdessen auf gut geschulten und wissenschaftlich informierten Experten liegen.
Zudem soll in Schulen mehr Wert auf die Vermittlung von Medienkompetenz gelegt werden, da aufgeklärte Jugendliche unweit besser in der Lage sind, mit Medien umzugehen, als notorisch entmündigte. Zuletzt lehnen wir aus Sicht der Säkularisierungsbestrebungen unserer Partei Kirchenvertreter in derartigen Gremien generell ab.
Insbesondere nach den jüngsten Missbrauchsskandalen sind die Worte „Kirche“ und „Jugendschutz“ nur schwer in einen Satz zu bekommen. Wer Vertreter einer Organisation ist, die Kindesmisshandlungen systematisch vertuscht und mit “dem Teufel” entschuldigt, erscheint uns für die Festlegung des Jugendschutzes ohnehin ungeeignet.
4. Die rechtliche Ungleichbehandlung von Filmen und Videospielen
Charakteristika von Medien
Erst im August 2018 wurde das Verbot verfassungsfeindlicher Symbolik in Videospielen zwar über die Sozialadäquatsklausel gelockert, dieses besteht im Grundsatz aber auch weiterhin. In Filmen besteht dieses Verbot nicht. Doch woran liegt das? Welche Begründungen existieren seitens der Befürworter solcher Praktiken ungleicher Behandlung beider Medien?Hierzu ein kleiner Exkurs zur Bestimmung diverser Charakteristika von Medien, denn immerhin gibt es sie in vielfältiger Form: Bücher, Musik, Filme, Kartenspiele, Brettspiele, Videospiele – sie alle sind Medien, jeweils in anderer Form, mit eigenen Eigenschaften. Hierzu nebenstehende Grafik.
Wie oben zu entnehmen ist, findet eine Einteilung sowohl in den Bereichen der Zeitebene (dynamisch und statisch) als auch in der Art der Interaktion (passiv und actively nodal statt; letzterer Begriff beschreibt die interaktive Komponente aufgrund einer Knotenstruktur innerhalb des Mediums – wir nutzen zur Vereinfachung den Begriff (inter-)aktiv, auch wenn es sich dabei nicht um eine adäquate Übersetzung aus dem Englischen handelt (übersetzt aus: Sebastian Domsch: Storyplaying. Agency and Narrative in Video Games. Berlin / Boston: Walter de Gruyter 2013. S. 7).
Diese Einteilung entstammt aus der Arbeit Sebastian Domschs, der sich in seinem Buch Storyplaying mit dem im Zuge moderner Medien entstandenen Phänomen der sog. narrating futures beschäftigt, welche sich durch ein interaktives Eingreifen in den Verlauf einer Erzählung auszeichnen.
Entscheidend zur Distinktion aller Medien sind also die Eigenschaften, die sie besitzen – während man ein Buch oder ein Gemälde zum einen als statisch bezeichnet, da sie keine eigene Zeitachse besitzen und ihre Entfaltung vollständig von der Teilhabe des Rezipienten abhängt, bezeichnet man sie zudem auch noch als passiv, da sie keine interaktive Komponente haben man kann die Geschehnisse und Strukturen im Medium nicht beeinflussen, ein Film bleibt auch beim dritten Mal Anschauen derselbe Film.
Im Gegensatz dazu stehen dynamische und (inter-)aktive Medien wie Videospiele, die sich durch eine eigene Zeitachse charakterisieren (die Geschehnisse im Videospiel laufen auch voran, wenn man das Gamepad zur Seite legt) und in deren Verlauf man eingreifen kann. So ergeben sich für Filme die Zuschreibung von zwar dynamischen, aber passiven Medien, Kartenspiele sind hingegen statisch und (inter-)aktiv.
Lässt sich anhand dieser Kategorisierung eine rationale Entscheidung bezüglich der ungleichen Behandlung zwischen bspw. Filmen und Spielen treffen?
Ist der Umstand, dass es sich bei Filmen, Büchern und auch Comics um passive Medien handelt, tatsächlich relevant für ein Zulassen der verfassungsfeindlichen Symbole, in jedwedem interaktiven Medium jedoch nicht?
Wollte man diese Entscheidung mit einem gesteigerten Aggressionspotenzial bzw. der unlauteren Beeinflussung durch interaktive Medien begründen, so müsste man diese Symbole auch aus passiven Medien fernhalten, denn laut diverser Studien müsste man zum Schluss kommen, dass es keinen messbaren Unterschied bei der Steigerung von gewalttätigen Verhaltensweisen durch Filme und Videospiele gibt [14] – andere Studien verneinen sogar überhaupt eine Steigerung des Gewaltpotentials oder anderweitiger Beeinflussung.
Zudem sollte Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass in der play theory ein gewisser Konsens herrscht, inwieweit Spiele auch zugleich immer eine narrative Ebene bedienen, also Geschichten erzählen – hierzu eine exemplarische Darstellung am Beispiel Schach: Zwei Imperien treffen in einem Kampf auf Leben und Tod aufeinander, um die gegnerische Krone, resultierend aus dem Tod des Königs der Gegenpartei, zu erlangen. Auch wenn diese Geschichte nur implizit erzählt wird und prinzipiell nur eine untergeordnete Rolle für die Abhaltung des Spiels spielt, so ist sie im Subtext immer enthalten.
Bei Videospielen ist dieser Umstand viel weitreichender, denn sie konzipieren sog. storyworlds, welche im Sinne Henry Jenkins aus der vom Entwickler designten Spielwelt entspringen und auch unter dem Begriff narrative architecture bekannt sind: “In video games, spaces tell their own stories […] They provoke the player to construct these stories within their minds“ [15].
Videospiele leben also zunehmend von ihrer narrativen Ebene, Spielern sind inzwischen narrative Elemente fast genauso wichtig wie der spielerische Gehalt, da sie in der modernen Ansicht nicht mehr antagonistisch gegenüberstehen, sondern sich komplementär ergänzen [16]. Welchen Fokus der Spieler für sich persönlich setzt, entzieht sich der Kontrolle der Medienhersteller und gilt für Videospiele ebenso wie für den Film u.a. Medien.
Unter diesem Aspekt, dass Videospiele zugleich auch Geschichten erzählen können, so wie Bücher und Filme auch, und der Interaktivität des Mediums keine weitreichende Beeinflussung auf den Rezipienten bzw. Spieler nachgewiesen werden konnte, ergibt sich keine hinreichende Begründung für eine ungleiche Behandlung von passiven und (inter-)aktiven Medien nach Domsch.
Aber auch darüber hinaus ist ein Verbot verfassungsfeindlicher Symbole in Videospielen ein Ausdruck des Verbotsdrangs des Gesetzgebers, der, überspitzt formuliert, davon ausgeht, ein mündiger Bürger konvertiere beim Erblicken eines Hakenkreuzes zum glühenden Nationalsozialisten. Dieses Verbot führt auch dazu, dass eine angemessene Auseinandersetzung mit gefährlichen Ideologien und der Vergangenheit in Videospielen kaum möglich ist – selbst wenn diese explizit, wie in modernen Indie-Games, von einem didaktisch, künstlerisch und aufklärerisch wertvollen Grundsatz ausgeht.
Die vorauseilende Selbstzensur führte in der Vergangenheit bereits zu zahlreichen Vorgehensweisen, die nicht im Interesse des Gesetzgebers liegen können. Angefangen damit, dass in dem Videospiel The Saboteur, in welchem der Spieler, anstatt den Widerstand gegen die Nazis zu organisieren, in Deutschland gegen eine Fantasie-Gruppierung kämpfen muss, bis zu Through the Darkest of Times, einem Spiel, welches sich kritisch mit der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus beschäftigt und in Deutschland zwar Szenen zeigen konnte, in denen die Aufschrift „Kauft nicht bei Juden“ eine Rolle spielte, nicht jedoch die einer Bücherverbrennung, da es zu aufwendig gewesen wäre, eine Gruppe von Personen zu kaschieren, die den Hitlergruß zeigen.
Besonders hart traf es die Entwickler des Spiels Attentat 1942, in dem Überlebende der NS-Diktatur selbst zu Wort kommen und in dem der Spieler deren Erinnerungen nachempfinden kann. In Deutschland ist dieses Spiel nicht erschienen – zu groß die Befürchtung der Entwickler, eine Klage könnte sie finanziell ruinieren.
Spätestens hier zeigt sich, wie ein vielleicht gut gemeintes Verbot wertvolle Geschichtsarbeit, gerade in der für Jugendliche besonders zugänglichen Form des (Video-)Spiels, komplett unterbinden kann.
Fazit
Da keine Unterschiede in den Auswirkungen passiver sowie interaktiver Medien auf den Rezipienten nachgewiesen werden können, und Videospiele ebenso wie Filme und Bücher eine erzählte Geschichte im Fokus haben, gibt es keine Berechtigung für die unterschiedliche Behandlung von passiven und interaktiven Medien.
Wir fordern daher, dass auch in interaktiven Medien wie Videospielen das Verbot verfassungswidriger Symbole aufgehoben wird.
Auch wollen wir so dem mündigen Bürger im Sinne unseres liberalen Grundgedankens mehr Freiheiten gewähren und dem Umstand Rechnung tragen, dass dieses Verbot realpolitisch oft genau jene Projekte blockiert, die geeignet wären, einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung und medialen Vermittlung der NS-Diktatur gerade unter Heranwachsenden zu leisten. Dies kann und sollte nicht Ziel eines Staates sein, der die Meinungs- und Kunstfreiheit zu einem seiner höchsten Güter erklärt.
5. Quellen
- Publication 1 RWTH Aachen [Stand: 30.11.2018]
- Publication 2 RWTH Aachen [Stand: 30.11.2018]
- Videospiele fallen unter den rechtlichen Kunstbegriff, wie durch diverse Entscheidungen bestätigt wurde. Vgl. z.B. Entscheidung VG Köln über Medal of Honor (Az.19 K 3559/11), Link [Stand: 30.11.2018]
- Link Wikipedia Killerspiel [Stand: 30.11.2018]
- Link Spielkult Hypotheses [Stand: 30.11.2018]
- Link News Media public education and public policy committee [Stand: 30.11.2018]
- Link Spielkult Hypotheses [Stand: 30.11.2018]
- PDF Almrausch Dissertation [Stand: 30.11.2018]
- PDF Jura Uni-Tübingen [Stand: 30.11.2018], Link Zis-Online [Stand: 30.11.2018]
- PDF Jura Uni-Tübingen [Stand: 30.11.2018]
- Link Zis-Online [Stand: 30.11.2018]
- Link USK [Stand: 30.11.2018], PDF USK [Stand: 30.11.2018]
- (entfällt)
- B. J. Bushman, C. A. Anderson (2001). Media violence and the American public: Scientific facts versus media misinformation. In: American Psychologist 56, S. 477 – 489. Abrufbar unter: Link [Stand: 30.11.2018]
- Sebastian Domsch: Storyplaying. Agency and Narrative in Video Games. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013.
- Chee Siang Ang: Rules, Gameplay and Narratives in Video Games. Simulation and Gaming: An Interdisciplinary Journal of Theory, Practice and Research. London: City University London 2005. Abrufbar unter: Link [Stand: 30.11.2018]
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