So wie einst Walter Ulbricht keine Absicht hatte, eine Mauer zu bauen, behauptet Putin heute, dass er keine Absicht hat, einen Krieg zu führen. Doch die Realität sieht anders aus. Die Krise in der Ukraine spitzt sich immer weiter zu. Kurz nachdem der Kreml einseitig die beiden ukrainischen Separatistenrepubliken im Donbass als unabhängig anerkannt hatte [1], haben russische Panzer völkerrechtswidrig [2] die Grenze der Ukraine überschritten. Zur Stunde beraten Europa, die USA, Japan und die Vereinten Nationen gemeinsam, wie auf diese Aggression zu antworten ist [3].
Der Gesamtsituation vorausgegangen waren Wochen und Monate intensiver diplomatischer Beschwichtigungsversuche. Die höchsten Vertreter verschiedener Nationen gaben sich bei Wladimir Putin und seinem Außenminister Sergej Lawrow die Klinke in die Hand. Doch der Erfolg blieb aus. Viele der Geschehnisse der vergangenen Stunden und Tage wurden schon früh vorhergesagt: Dazu gehört die mutmaßliche Inszenierung von ukrainischen Angriffen im Donbass und die Anerkennung der Separatistengebiete mit einer darauffolgenden „Friedensmission“, um einen Vorwand zum Einmarsch zu schaffen [4]. Spätestens mit der unerfüllbaren Forderung Putins, dass die NATO ihre Truppen aus Osteuropa abziehen solle, war gewiss, dass seitens des Kremls kein Interesse an weiteren Verhandlungen besteht und man lieber Tatsachen schaffen wollte. Vorangegangene Aussagen, wie, dass keine russische Invasion geplant sei [5], sind durch den De-facto-Einmarsch in die Ukraine, egal wie man diesen nun nennt, als Lügen zu verstehen. Daher sind weitere Gesprächsangebote der russischen Regierung mit Vorsicht zu genießen und wahrscheinlich nichts als Lippenbekenntnisse, während russisches Militär die schon 2014 mit der Krim begonnene völkerrechtswidrige Landnahme weiter vorantreibt. All dies passt ins Bild der russischen Militärdoktrin [6]. Es steht zu befürchten, dass Putin nicht bei der Ostukraine halt machen wird [7], es wird vielmehr die Souveränität der gesamten Ukraine vom Kreml in Frage gestellt [8].
Die möglichen Handlungsoptionen aus deutscher, europäischer und NATO-Sicht sind derzeit nicht militärischer Art. Als erstes Instrument gelten strenge Wirtschaftssanktionen, dazu gehört auch der oft diskutierte Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System und das Ende von Nordstream 2. Auch wenn letzteres schwerwiegende energiepolitische Folgen für Deutschland bedeuten würde, darf der deutsche Energiehunger nicht zu Lasten der Souveränität eines anderen Landes gehen. Eine militärische Intervention der NATO halten wir derzeit für unwahrscheinlich, jedoch ist logistischer Beistand unter anderem mit Militärgütern durchaus denkbar und wahrscheinlich dringend notwendig. Das zögerliche Verhalten und die Hinderung angemessener Hilfen an die Ukraine seitens der Bundesregierung ist angesichts der Realität der Situation unzureichend. So untergräbt man jahrzehntelanges Vertrauen unserer Verbündeten und unserer europäischen und internationalen Partner.
Friedliche, diplomatische Lösungen sind stets ausdrücklich vorzuziehen, sofern diese noch realistisch sind. Letztlich ist es eine humanistische wie auch humanitäre Pflicht, gegen völkerrechtswidrige Handlungen einzustehen und jenen beizustehen, deren Souveränität gewaltsam bedroht wird.
[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/putin-ordnet-entsendung-von-truppen-in-die-ostukraine-an-17821012.html, abgerufen am 22.02.2022
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/armee-konvois-gesichtet-augenzeugen-melden-massive-truppenbewegungen-in-der-ostukraine/28090994.html, abgerufen am 22.02.2022
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/reaktionen-russland-101.html, abgerufen am 22.02.2022
[4] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ukraine-russland-osint-101.html, abgerufen am 22.02.2022
[5] https://www.spiegel.de/ausland/russland-eu-botschafter-moskaus-dementiert-invasionsplaene-fuer-die-ukraine-a-9dd9a07a-e118-4e76-9ab7-bb50b3206905, abgerufen am 22.02.2022
[6] https://www.swp-berlin.org/publikation/russlands-neue-militaerdoktrin, abgerufen am 22.02.2022
[7] http://en.kremlin.ru/events/president/news/66181, abgerufen am 22.02.2022
[8] https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_91703616/russland-krise-lawrow-ukraine-hat-kein-recht-auf-souveraenitaet.html, abgerufen am 22.02.2022