Die grundsätzlichen Rechte, die jedem Menschen mit Behinderungen zustehen, regelt die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2008 international in Kraft getreten ist. Diese hat Deutschland am 24. Februar 2009 ratifiziert. Damit ist die Konvention in Deutschland geltendes Recht. Seitdem ist Deutschland nicht nur dazu verpflichtet, gegenüber dem Komitee für die Rechte von Menschen mit Behinderungen periodisch Berichte über den Stand der Umsetzung der Konvention abzugeben, sondern auch, diese Umsetzung weiter voranzutreiben [1].
Die Konvention verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen kontinuierlich zu verbessern, diesen Unterstützung zuteilwerden zu lassen sowie dafür zu sorgen, dass aufgrund der Behinderung keine Nachteile entstehen.
Was ist seitdem in Deutschland passiert?
Seitdem hat sich einiges in diesem Bereich getan. Es gibt in der Zwischenzeit auf den Seiten staatlicher Behörden vielfach Informationen in leichter Sprache. Diese Angebote werden permanent weiter ausgebaut und finden sich an sehr vielen staatlichen Stellen wieder. Auch im privaten Bereich setzen Unternehmen und Firmen immer mehr auf barrierefreie Angebote.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden Sendungen mit Untertiteln, Audio-Beschreibung oder Gebärden-Dolmetscher ausgestrahlt. Diese finden sich schnell erreichbar in den digitalen Mediatheken, wo man speziell nach barrierefreien Angeboten suchen kann. Dort übt der Staat seine Vorbildfunktion bereits sehr gut aus. Mit dem Format „Sehen statt Hören“ gibt es sogar ein Format, das sich explizit an Gehörlose richtet und in Gebärdensprache ausgestrahlt und moderiert wird [2]. Auch bauliche Barrieren in Gebäuden werden nach und nach abgebaut.
Im Bereich der politischen Teilhabe gab es über die Jahre viele Verbesserungen. Für Menschen mit Sehbehinderungen gibt es zum Beispiel Schablonen für die Wahlzettel und Audio-CDs, die angefordert werden können. Mitgliedschaften in Parteien und generelle Präsenz für Menschen mit Behinderungen haben seitdem deutlich zugenommen.
Welche Probleme gibt es noch in Deutschland?
Allerdings ist nach wie vor viel zu tun. So fehlt es an vielen Stellen noch an Bodenleitsystemen für Blinde. Diese sorgen dafür, dass Menschen mit Sehbehinderungen zuverlässig Kreuzungen und Wege zum Beispiel auf öffentlichen Plätzen erkennen können. Leider werden diese oft zugestellt mit Blumenkübeln, Schildern, Autos und Fahrrädern. Darüber hinaus fehlen das Verständnis und die Aufmerksamkeit für unsichtbare Behinderungen bzw. psychische Beeinträchtigungen. Generell fehlt es an vielen Stellen im Bereich Inklusion noch an Aufklärung darüber, welche Maßnahmen zu welchem Zweck ergriffen werden. Das führt zurzeit dazu, dass viele Barrieren oder wichtige Hilfsmittel nicht als solche wahrgenommen werden.
Weiterhin müssen die Regeln besser aufeinander abgestimmt werden. So hebeln Bestands- und Denkmalschutz oftmals Regeln für barrierefreies Bauen aus, welche für viele Neubauten mittlerweile gelten. Dabei sollte der Staat seiner Vorbildfunktion gerecht werden und Bauten, die er selbst nutzt und errichtet hat, nach dem 3-Sinne- Prinzip ausrichten. Dieses besagt, dass alle Informationen mit mindestens zwei von drei Sinnen (Sehen, Hören, Tasten) erfassbar sein müssen. Beispielsweise Texte als Audio-Version oder verfilmt mit Untertiteln, versehen mit Erläuterungen in Gebärdensprache.
Gerade der ÖPNV ist vielfach noch nicht behindertengerecht. So gibt es immer noch Bahnsteige, an denen keine Aufzüge vorhanden sind oder wo diese defekt sind. Auch die Anmeldepflicht für Rollstuhlfahrer für Fahrten mit dem Nah- und Fernverkehrszügen der Deutschen Bahn ist definitiv diskussionswürdig. Zudem braucht es mehr Plätze in Zügen für Rollstuhlfahrer. Die Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket haben deutlich und erschreckend gezeigt, welche strukturellen Probleme dort alleine schon für Rollstuhlfahrer bestehen.[3]
Wenig Inklusion am Arbeitsmarkt
Insbesondere auf dem Arbeitsmarkt ist noch viel zu tun. Hier ist Deutschland von echter Inklusion, echter gleichberechtigter Teilhabe, weit entfernt. Noch immer arbeitet der weit überwiegende Teil der Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen für einen Hungerlohn [4]. Diese Werkstätten sollen der Inklusion in den Arbeitsmarkt dienen.
Tatsächlich jedoch haben die Werkstätten in ihrer derzeitigen Ausgestaltung keinen echten Grund, geeignete Mitarbeiter in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Es lohnt sich schon rein finanziell für die Werkstätten nicht, dies zu tun. Besonders „fitte“ Mitarbeiter können die Arbeit ohne weitere Anleitung erledigen, benötigen keine Hilfe.
Insbesondere die Entlohnung unterhalb des Mindestlohns ist nicht zu rechtfertigen, bietet sie doch der Ausbeutung ein großes Einfallstor. Dies ist aber tatsächlich mit der Beendigung der Sonderstellung der Werkstätten und der Behandlung aller dortigen Angestellten als Arbeitnehmer möglich. Denn nur Arbeitnehmer haben Anspruch auf Mindestlohn, nicht aber die arbeitnehmerähnlichen Personen, als die die Angestellten in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen behandelt werden.
Einige Firmen argumentieren damit, dass sie dadurch Gewinne verlieren würden. Jedoch darf die Menschenwürde nicht dem Firmengewinn untergeordnet werden. Dazu zählt auch ein Lohn, der eine soziale Teilhabe und ein würdiges Leben ermöglicht. Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen muss als Menschenrecht über dem Wunsch von Unternehmen nach Gewinnen stehen.
Barrieren bei der politischen Teilhabe
Gerade auch im Bereich der politischen Teilhabe ist die Bilanz der Inklusionsbemühungen bestenfalls gemischt. Auf der einen Seite schlagen verschiedene Bemühungen, den Wahlprozess inklusiver zu gestalten, etwa durch Schablonen und Audio-CDs für Sehbehinderte, positiv zu Buche. Auch ist in der Zwischenzeit die Wahlrechtseinschränkung für Personen mit voller gesetzlicher Betreuung aufgehoben. Andererseits bestehen nach wie vor Probleme. So stellen viele Parteien ihre Programme noch nicht in Leichter Sprache zur Verfügung. Auch ist Screenreader-Tauglichkeit noch immer kein Standard, an dem sich viele Seiten messen lassen. Die Möglichkeiten, beim Wahlvorgang selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen, sind eng begrenzt.
Fazit
Generell hat sich in Bezug auf Fragen wie Zugänglichkeit viel getan. Barrierefreies Bauen, Gebärdendolmetscher und Blindenleitsysteme sind heute bereits fester Bestandteil des Alltags. Das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt sind jedoch weiterhin stark segregiert. Öffentliche und andere Gebäude sind vielfach noch nicht behindertengerecht oder barrierefrei, ebenso öffentliche Verkehrsmittel. Man muss aber klar sagen: Es hat sich insgesamt in den letzten 13 Jahren vieles verbessert und die Zeichen in dem Bereich stehen klar auf Veränderung ins Positive.
Quellen:
[1] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/monitoring-stelle-un-brk/die-un-brk , abgerufen am 04.11.2022
[2] https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/sehen-statt-hoeren/index.html , abgerufen am 04.11.2022
[3] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/9-euro-ticket-probleme-fuer-menschen-mit-behinderung,T8LQDgq , abgerufen am 04.11.2022
[4] https://www.deutschlandfunk.de/das-ueberholte-konzept-der-werkstaetten-100.html , abgerufen am 04.11.2022