Je länger die Corona-Krise dauert, desto mehr offenbart sie irrationale und teilweise wirklich unmenschliche Ansichten. Wir möchten diesen entschieden widersprechen und zugleich an dieser Stelle einige falsche Behauptungen entkräften, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so abwegig wirken.
Für die offensichtlich absurden Verschwörungsmythen, wie zum Beispiel die satanische Adrenochrom-Verschwörung oder die angebliche gesundheitliche Gefährdung durch 5G-Masten, verweisen wir gerne auf den Blog der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) zum Thema Corona. Dort werden diese klar als Unsinn entlarvt.
Doch welche Aussagen sind weniger offensichtlich falsch, können jedoch ebenfalls Schaden anrichten?
Corona trifft doch nur die Alten?
„Es sterben nur alte Menschen und diese hätten eh nur noch eine kurze Zeit gelebt.“ Diese Aussage konnte man in den vergangenen Wochen und Monaten sinngemäß immer und immer wieder hören — von bekannten Politikern, vermeintlichen Experten und Prominenten.
Sie offenbart ein Weltbild, das wir entschieden ablehnen. Es entwertet pauschal das Leben vieler Menschen nur aufgrund ihres Alters. Desweiteren ist es schlicht falsch, dass nur Ältere betroffen sind — die Risikogruppe umfasst auch mehrere Millionen jüngere Bürger, die von chronischen Atemwegs- bzw. Lungenerkrankungen, Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen betroffen sind. Zudem verlieren die älteren Opfer nicht nur „wenige“ Lebensjahre, im Durchschnitt hätten sie noch ca. neun Jahre gelebt.
Die Realität ist demnach weit davon entfernt, dass wir es hier mit Toten zu tun haben, die demnächst ohnehin in der Sterbestatistik aufgetaucht wären.
Schon im März hatten wir den kruden Thesen eines Herrn Wodarg energisch widersprochen, beim neuen Coronavirus handele sich nur um eine stärkere Grippe. Die bisherige Entwicklung hat seine Annahmen als komplett haltlos entlarvt. Die Übersterblichkeit in Europa unterstreicht dies noch einmal eindrücklich. Diese Kennzahl gibt an, wie viele Menschen im aktuellen Jahr im Vergleich zum langjährigen Mittel pro Kalenderwoche mehr gestorben sind. In manchen europäischen Ländern lag die Sterblichkeit 50% über dem Normalwert. Insbesondere Großbritannien sticht hervor und zählte bis Mitte Juni 64.500 mehr Tote während der Pandemiezeit als sonst üblich.
„Man stirbt nicht an, sondern mit Corona”
Diese Aussage bietet einen gewissen Interpretationsspielraum. Wenn ein Haus in Flammen steht und ein Hausbewohner beim Fluchtversuch an einem Herzinfarkt verstirbt — ist er dann durch den Brand ums Leben gekommen oder mit dem Brand?
Wenn die Corona-Infektion dazu führt, dass der Körper andere Erkrankungen nicht mehr kompensieren kann, ist die Antwort auf die Frage nach der Todesursache eigentlich relativ eindeutig. Dass nicht nur schwere Vorerkrankungen das Sterberisiko erhöhen, sondern auch Erkrankungen wie Bluthochdruck, mit denen Menschen auch ohne Behandlung Jahrzehnte leben, führt die Aussage, man sterbe nicht an, sondern mit Corona, ad absurdum.
Lösungsansatz Herdenimmunität
„Das Problem lässt sich mit Herdenimmunität lösen und die Maßnahmen waren entsprechend zu strikt“ ist ebenfalls eine allzu häufige Behauptung. Hier gibt es viel zu entpacken.
Zunächst muss man hier feststellen, dass die Maßnahmen in Deutschland keinesfalls das mögliche Maximum ausgereizt hatten. So gab es in Deutschland lediglich Ausgangsbeschränkungen und keine Ausgangssperren, wie sie in vielen anderen Ländern, wie beispielsweise Italien und Spanien, ab einem bestimmten Zeitpunkt verhängt wurden. Tatsächlich ist es im Gegenteil so, dass wir um die härtesten Maßnahmen, wie Ausgangssperren und blockweises Einkaufen oder Spazierengehen, (bislang) herumgekommen sind.
Der deutsche Erfolgsweg
Aber von internationalen Vergleich abgesehen waren die Maßnahmen auch allgemein nicht zu strikt, sondern vor allem eins: erfolgreich. Die Einschränkungen waren sinnvoll, denn sie konnten unkontrollierbare Situationen mit vielen unnötigen Todesfällen verhindern. Dennoch sind hierzulande bislang knapp 9.000 Menschen daran gestorben und viele der Genesenen werden noch lange Zeit mit den Nachwirkungen der Krankheit zu kämpfen haben. Eine lockerere Herangehensweise hätte dementsprechend mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu noch mehr Toten geführt und das Gesundheitssystem näher an oder über die Auslastungsgrenze gebracht.
Und genau in den Ländern, die die Krise nicht ernst genug genommen oder von Anfang an auf die Strategie der Herdenimmunität gesetzt hatten, sind drastische Beschränkungen früher oder später für viele Wochen der bittere Alltag geworden.
Die Annahme, man hätte hier verschiedene gleichwertige Alternativen gehabt, wird durch zahlreiche Gegenbeispiele hinreichend widerlegt, allen voran Schweden: Dort muss die Wirtschaft mittlerweile einen vergleichbaren Einbruch hinnehmen wie in den Ländern mit anfänglich strikteren Maßnahmen, gleichzeitig hat der lockerere Kurs, der zunehmend kritisiert wird, circa viermal so viele Tote pro Million Einwohner gefordert wie in Deutschland.
Deutschland hatte Glück in dieser globalen Katastrophe und konnte aufgrund eines Informationsvorsprungs rechtzeitig Bürger sensibilisieren und Einrichtungen schließen, weshalb die halbe Welt derzeit neidisch auf die deutsche Corona-Bilanz schaut.
Masseninfektionen sind verantwortungslos
Aber nicht nur unsere Bilanz spricht für unseren Weg, auch die nahezu völlige Unklarheit über Langzeitfolgen dieser Krankheit ist ein sehr starkes Argument gegen eine flächendeckende Durchseuchung. Bislang gibt es Indizien, die für einen Befall sämtlicher lebenswichtiger Organe sprechen:
Gehirn, Nervenzellen, Herz, Lunge, Niere, Darm und Blutgefäße.
Bei Betroffenen kann dies auch bei vermeintlich mildem oder gar asymptomatischem Krankheitsverlauf noch schwere Folgen haben. Desweiteren werden Mutationen des Virus mit jeder Übertragung wahrscheinlicher. Das kann jede Herdenimmunität wieder wirkungslos machen.
Wer trotz bruchstückhafter Informationen über das Ausmaß einer Erkrankung und die Effektivität dieser Maßnahme eine Masseninfektion anpeilt, denkt und handelt schlichtweg verantwortungslos.
Der Faktor Zeit
Wie bereits beschrieben, gibt es durchaus auch bei vielen asymptomatischen Fällen chronische Schäden. Davon abgesehen ist es rein rechnerisch extrem schwer, eine Herdenimmunität zu erreichen, ohne das Gesundheitssystem zu sprengen. Um eine Durchseuchung von 60% der deutschen Bevölkerung innerhalb eines Jahres zu erreichen, müssten sich im Schnitt je Monat vier Millionen Menschen infizieren. Wir stehen derzeit nach zwei Monaten bei knapp 200.000 nachgewiesenen Infektionen.
Selbst mit einer sehr großzügigen Dunkelziffer können wir lediglich von circa ein bis zwei Millionen Fällen ausgehen. Die Spekulation auf natürliche Durchseuchung bis zur Herdenimmunität ist derzeit somit nicht mehr als eine fromme Hoffnung.
Die Wunderheilung der Natur
„Wir sind das Virus / Das Virus ist unser Freund / Nature is healing. Mit mehr Biolandwirtschaft und Naturverbundenheit wäre das nicht passiert.“ So ziehen besonders naturverbundene Menschen etwas Positives aus der Krise und nehmen es als Aufruf zum langfristigen System Change. Doch was ist dran an diesen Thesen?
Der scheinbar erblaute Himmel
Relativ zu Beginn der Maßnahmen entstanden Gerüchte, dass nun eine gute Zeit für die Natur beginnen würde. Dies sollte durch zahlreiche Berichte, Bilder und Videos untermauert werden.
Doch der besonders blaue und wolkenfreie Himmel stand kaum im Zusammenhang mit den verhängten Maßnahmen und dem reduzierten Verkehrsaufkommen. Es war schlichtweg die vorherrschende Großwetterlage mit Trockenheit. Kondensstreifen der Flugzeuge sind in einer solchen Situation überhaupt nicht sichtbar und waren es auch in den Jahren zuvor nicht bei vergleichbaren Konditionen.
Man muss nur an die letzten Jahre zurückdenken, in denen der Himmel ebenfalls an zahlreichen Tagen — bei normalem Flugzeugaufkommen — strahlend blau war. Und umgekehrt mag der Verkehr gerade reduziert sein, doch auch während der Krise fliegen weiterhin Flugzeuge, deren Kondensstreifen wir hätten sehen müssen.
Mehr Bio hilft gegen Corona?
Die vielfach geäußerte These, dass nun ein Zurück zu mehr Natur — etwa durch die Stärkung der Bio-Landwirtschaft — solche Krisen vermeidet, ist waghalsig. Letztlich war wohl genau das der Auslöser der Krise: intensiver Kontakt mit der Natur und der Verzehr von einem Wildtier.
Eine Zunahme der Biolandwirtschaft würde zudem den Flächenverbrauch drastisch steigern, da dieser weniger Ertrag pro Quadratmeter bringt. Aktuell findet ökologische Landwirtschaft auf nur einem Prozent der weltweiten Ackerfläche statt. Eine signifikante Ausweitung bedeutet höchst wahrscheinlich ein massives Eindringen in die restliche unberührte Natur.
Es ist genau das Gegenteil nötig: mehr Fortschritt und Effizienz bei der Bewirtschaftung der bereits genutzten Flächen. Das heißt: nachhaltige Intensivierung und teilweise Verlagerung in die Städte (z. B. durch Vertical Farming), damit die Natur großflächig sich selbst überlassen werden kann.
Corona ist gut für die Umwelt?
Ob der Verkehr dauerhaft niedriger sein wird, ist sehr ungewiss. Und gerade die Tatsache, dass die Ansteckungsgefahr im motorisierten Individualverkehr deutlich niedriger ist als im ÖPNV oder im Zug könnte noch langfristig negative Auswirkungen auf diese klimaschonenderen Verkehrsformen mit sich bringen.
Die lange Zeit in einer quarantäneartigen Situation könnte zudem zu großen Nachholeffekten führen, zum Beispiel was Urlaub betrifft. Darüber hinaus reduziert der niedrige Ölpreis die Kosten von Autos mit Verbrennungsmotoren und senkt den Anreiz eines Umstiegs.
Doch der härteste Einschnitt in Sachen Umweltschutz dürfte dadurch kommen, dass dieser meist Geld kostet. Die Sorgen vieler Länder sind nun primär der Erhalt oder die Neugenerierung von Arbeitsplätzen. Und diese Stabilisierungsmaßnahmen sind äußerst teuer.
Zusammengefasst: Natürlich wäre es schön, wenn die Natur sich wirklich und dauerhaft erholen würde. Corona dafür zu feiern, wenn die Pandemie gleichzeitig massenweise Menschenleben kostet, ist menschenverachtend. Nicht alle Effekte sind real. Und viele — wenn nicht alle — von denen, die es sind, werden wohl nicht anhalten. Und selbst wenn sie es wären, sind die Schlüsse, die mancher daraus zieht, voreilig und fehlgeleitet. Sie könnten eher neue Probleme schaffen.
Das vorzeitige Ende
Besonders populär ist aktuell natürlich auch: „Die Krise ist vorbei.“ Die simple Antwort darauf antwortet: Nein.
Abgesehen davon, dass das Virus in vielen Ländern noch sehr stark verbreitet ist und manche Regionen sich jetzt erst zu Hotspots entwickeln, gibt es auch in Deutschland immer wieder neue lokale Ausbrüche. Das Virus wird von alleine nicht verschwinden, diese Krise ist vermutlich frühestens mit der Entwicklung und Verfügbarkeit eines Impfstoffes entschärft.
Die frisch veröffentlichte Corona-App wird ebenfalls keine Wunderheilung bringen, aber könnte helfen, neue Ausbrüche einzudämmen. Wenn ihr sie noch nicht installiert habt, solltet ihr das dringend überdenken. Besonders da anfängliche Kritik aufgenommen und die Entwicklung entsprechend angepasst wurde. Wir sind froh über alle Mitmenschen, die in dieser anstrengenden Situation vernünftig bleiben, auch wenn es natürlich mit zunehmender Dauer an den Nerven zehrt. Bleibt gesund – auch im Kopf. Bleibt menschlich – auch der Risikogruppe gegenüber.