Die ausnahmsweise Einreisegestattung für einige Tausend Flüchtlinge vom Budapester Hauptbahnhof nach Deutschland im Herbst des Jahres 2015 markierte für Deutschland den Beginn einer sich immer weiter verschärfenden Debatte über die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Fast fünf Jahre später haben es Deutschland und die EU nicht geschafft, sich auf eine gemeinsame Flüchtlings- und Migrationspolitik zu einigen, die der Realität und den Werten Europas gerecht wird. Wir können das Thema nicht aussitzen, ignorieren oder mit Geld an unsere Nachbarn outsourcen – es braucht ein umfassendes, realistisches und stabiles europäisches System für Migration und Flucht!
Jetzt, wo uns erschütternde Bilder von erschöpften und leidenden Menschen erreichen, die teils unter Einsatz von Tränengas an der Einreise in die EU gehindert werden, wird deutlich: Wir haben die Problematik nicht gelöst, sondern nur verdrängt. Jetzt braucht es kurzfristiges und entschlossenes Handeln. Es ist unsere Pflicht, diesen Menschen zu helfen, auch in Zeiten des Coronavirus.
Einigen unbegleiteten Kindern die Einreise zu ermöglichen, ist richtig, schließlich sind sie die verletzlichste Personengruppe, doch es ist auch nur wenig mehr als ein Symbol und der minimal mögliche Konsens. Europa steckt nun in der schwierigen Zwickmühle, Menschen an seiner Grenze vor Leid und Elend zu bewahren, ohne auf die Erpressung der Türkei hereinzufallen, welche die Flüchtlinge als Geiseln und Druckmittel nimmt, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. In unserem Willen zu helfen, dürfen wir hier nicht leichtfertig agieren und keinesfalls die möglichen Konsequenzen unserer Aktionen außer Acht lassen. Es ist ein Skandal, dass ein NATO-Mitglied und Beitrittskandidat zur EU auf diese Weise mit seinen Verbündeten umgeht und solche menschenverachtenden Mittel einsetzt. Dieses Vorgehen muss politische und diplomatische Konsequenzen haben und darf nicht ungestraft bleiben! Doch weder die vollständige Aufnahme, noch die Abweisung der Menschen an der Grenze kann hier eine Antwort sein. Stattdessen muss Europa diese Menschen nun versorgen und geltendes Recht durchsetzen.
Möglich wäre, hier ein Auffanglager an der Grenze auf europäischem Boden einzurichten, in welchem die Personen versorgt werden und von dort aus Asylanträge stellen können. Sie würden dort verbleiben, bis über ihre Anträge entschieden wird und würden dann entweder aufgenommen oder abgewiesen werden. So oder so ist hier eine schnelle und effektive Umsetzung geboten. Es müssen genügend Mittel, Material und Personal bereitgestellt werden, damit ein solches Auffanglager nicht verwahrlost wie so viele andere. Die Anträge müssen geprüft und die Entscheidung darüber schnell umgesetzt werden. Auch im Falle einer Ablehnung ist eine Abschiebung dann unumgänglich.
Für diese Maßnahmen ist es erforderlich, dass Griechenland nicht alleine gelassen wird. Es ist beschämend, wie die europäischen Länder hier erneut Gemeinsamkeit mit den Grenzstaaten vermissen lassen. Die Grenzsicherung sowie das Asyl- und Migrationssystem sind gesamteuropäische Aufgabe und Verantwortung. Handeln wir endlich auch dementsprechend!
Über diese kurzfristigen Maßnahmen dürfen wir auch die langfristige Perspektive nicht vergessen. Diese Ereignisse müssen uns aufrütteln. Es ist auch unsere Pflicht, endlich anzufangen, nachhaltige Konzepte zu entwickeln und insbesondere Fluchtursachen zu bekämpfen, aber auch Strategien zu haben, wenn es zu Fluchtbewegungen kommt.
Wie eine umfassende, rationale Asyl- und Migrationspolitik aussehen könnte, die den Werten Europas, unserer humanitären Verpflichtung und auch realpolitischen Erfordernissen gerecht wird, könnt ihr in unserem Visionspapier Europa nachlesen: https://diehumanisten.de/2020/04/13/visionspapier-europa/#Außenpolitik, Asyl, Migration, Verteidigung