Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stefanie Hubig (SPD), brachte jüngst den ernstgemeinten Vorschlag, man solle Jungen und Mädchen bei naturwissenschaftlichen Fächern und Mathe getrennt unterrichten [1]. Wir erteilen diesem gesellschaftlichen und bildungspolitischen Rückschritt eine klare Absage!
Obwohl die Zielvorstellung – eine größere Begeisterung bei Mädchen für MINT-Fächer – grundsätzlich zu befürworten ist, bestehen berechtigte Zweifel an der geforderten Maßnahme. Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen zum sogenannten monoedukativen Unterricht kommen zu dem Schluss, dass die Geschlechterzusammensetzung für die Begeisterung einem Fach gegenüber nicht die entscheidende Rolle spielt [2]. Vielmehr ist es das Zusammentreffen von Erwartungshaltungen aufgrund geschlechterspezifischen Stereotypen und einem veralteten Schulsystem, welches Schüler als homogene Masse und nicht als Individuen betrachtet.
Für uns ist die offene Gesellschaft Kernelement des progressiven Zusammenlebens. Dabei ist es uns besonders wichtig, Menschen nicht mehr nach oberflächlichen Eigenschaften oder Gruppenzugehörigkeiten zu sortieren. Inklusion bedeutet für uns, alle Schüler als Individuen zu sehen und bedürfnisgerecht zu fördern. Eine Separation nach Geschlechtern bei Beibehaltung der üblichen Lehrmethoden wird diesem Ziel nicht gerecht, da weiterhin z.B. schüchterne oder stille Schüler und Schülerinnen in der Masse untergehen. Es ist frustrierend, dass dieser Vorschlag von einer so hoch besetzten Position des Bildungswesens heraus geäußert wird, ohne dass es ein tragbares wissenschaftliches Fundament dazu gibt. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass das „monoedukative Setting zur geschlechterdramatisierenden Betonung von Differenz sowie zur Hierarchisierung einer Geschlechtergruppe beiträgt“ [2]. Uns stellt sich die Frage, woher der naive Glaube an Maßnahmen kommt, die ausschließlich Symptome anstatt die Ursachen bekämpfen. Es gibt natürlich klare Belege für statistische Unterschiede beim Interesse für bestimmte Fachgebiete zwischen den Geschlechtern (aber auch innerhalb dieser). Doch die Ursache dafür liegt nicht im gemeinsamen Unterricht, sondern u. a. in der geschlechterstereotypen Erwartungshaltung von Eltern und Lehrern. Wir müssen berücksichtigen, dass es innerhalb der Gesellschaft noch große Teile gibt, welche ein starres, archaisches Rollenbild propagieren. Dieses wird durch die Erziehung an die Kinder weitergegeben und ist auch für die Ausprägung der Interessen verantwortlich. Die Geschlechtertrennung in der Schule wird diesen Umstand keineswegs verbessern.
Frau Haubig, die zugleich auch Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz ist, spricht sich überdies dagegen aus, den bekenntnisorientierten Religionsunterricht abzuschaffen.
In Anbetracht der Tatsache, dass auch Anja Karliczek, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, jeglichen „technologischen Fortschritt“ dem „christlichen Menschenbild“ unterordnen möchte [3], blicken wir mit Sorge auf die Zukunftsfähigkeit des Bildungs- und Wissenschaftsstandortes Deutschland. Wir treten dem mit einer klaren Haltung für freie Wissenschaft und unabhängige Forschung entgegen, und arbeiten an einer modernen Gestaltung der Bildungslandschaft, welche sich an den individuellen Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht an „göttlichen“ Vorgaben.
- https://www.spiegel.de/panorama/in-mathe-und-naturwissenschaften-kmk-praesidentin-will-getrennten-unterricht-fuer-maedchen-und-jungen-a-cf5044a5-03e7-499c-ae9e-702ac13b4099
- https://www.ph-freiburg.de/fileadmin/dateien/sonstige/gleichstellung/Budde_Mathematik_Geschlecht.pdf
https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-der-bundesministerin-fuer-bildung-und-forschung-anja-karliczek–1581192 („Wir lassen uns von unserem christlichen Menschenbild leiten. Jeder technologische Fortschritt hat sich dahinter einzureihen.“)
www.spiegel.de
In Mathe und Naturwissenschaften: KMK-Präsidentin will getrennten Unterricht für Mädchen und Jungen – DER SPIEGEL – Panorama
Für Fächer wie Mathe und Naturwissenschaften könnte es sinnvoll sein, wenn Schülerinnen und Schüler getrennt unterrichtet würden. Das regt jedenfalls Stefanie Hubig an, Präsidentin der Kultusministerkonferenz.www.bundesregierung.de
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek