Dem Fraktionsvorsitzenden der FDP Thüringen, Thomas Kemmerich, ist etwas sehr Merkwürdiges gelungen: Er wurde als Vorsitzender der kleinsten Fraktion im Thüringer Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt – mit den Stimmen der AfD Thüringen und der CDU Thüringen. Rechtlich war das sicherlich korrekt. Ob es strategisch sinnvoll und unserer Demokratie dienlich war, ist eine andere Frage. Und jeder taktische Sieg, den die AfD für sich beanspruchen kann, ist einer zu viel.
Hat Thomas Kemmerich darauf spekuliert, dass die AfD ihm geschlossen ihre Stimmen gibt? War es abgesprochen? Ging es darum, einen Kandidaten der Mitte anzubieten, wie er selber sagt? Oder ging es um Macht und Stimmen vom rechten Rand? Wenn wir ehrlich sind, wissen wir es nicht genau. Und wenn wir dem Grundpfeiler unseres Rechtssystems folgen, dann gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Solange nichts anderes bewiesen wird, sind wir zu “in dubio pro reo” verpflichtet.
Volksvertreter und Verantwortung
Doch schon Minuten nach dem dritten Wahlgang überschlugen sich in wahnsinniger Geschwindigkeit die Meldungen. Der Konsens war schnell klar: Dammbruch! Tabubruch! Es dauerte nicht lange, bis die ersten Nazi-Vergleiche online waren und sich unser aller Pinnwände mit Grafiken und Statements füllten, die alles andere als hilfreich waren, um sich eine eigene Meinung zu bilden.
Wir heißen das Verhalten der Thüringer FDP, allen voran Thomas Kemmerichs, und auch der Thüringer CDU, nicht gut. Wir verteidigen es nicht, sondern kritisieren es scharf und distanzieren uns an dieser Stelle deutlich davon.
Nicht weil wir Vorsatz unterstellen oder uns Spekulationen über die Intention anschließen, sondern weil wir vorausschauendes und verantwortungsvolles Handeln von jedem erwarten, der für sich in Anspruch nimmt, dem Souverän dieses Landes – dem Volke – zu dienen.
Demokratie ad absurdum
Was wir gesichert wissen: Die AfD hat ein strategisches Manöver gestartet, das seinesgleichen sucht. Dieses Manöver hat eines sehr klar gezeigt: Die AfD ist durchaus in der Lage, mit demokratischen Mitteln unseren gesamten Politik-Apparat ins Wanken zu bringen. Eine Partei, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und deren Landesvorsitzender führen altgediente Parteien vor und die Intention unseres demokratischen Systems ad absurdum.
Weder die Politik noch die Medien sind in der Lage, mit der AfD umzugehen. Alle Versuche haben bisher nur zu einem Ergebnis geführt: Die AfD wird stärker und ist immer weiter davon entfernt, in die Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, wo sie unserer Meinung nach hingehört. Diese Ohnmacht zeigt sich auch im Volk. Wie sonst soll man erklären, dass einigen Menschen jedes Mittel recht ist, ein weiteres Erstarken der AfD zu verhindern? Gewaltandrohungen gegen Politiker und ihre Familien sind kein geeignetes Mittel, um unsere Demokratie zu verteidigen. Ebenso wenig ist es richtig, die Regeln der Demokratie zu missachten. Ob es uns nun passt oder nicht, die AfD ist eine demokratisch legitimierte Partei und wir sind verpflichtet, ihr und insbesondere all ihren Wählern die Rechte zuzugestehen, die auch für alle anderen gelten.
Konstruktiver Diskurs statt destruktive Politik
Was wir brauchen, ist konstruktiver Diskurs, um Lösungen zu finden. Grundvoraussetzung dafür ist ein respektvoller Umgang miteinander – insbesondere zwischen allen gemäßigten Parteien. Doch dieser Respekt ist – neben anderen Bereichen – auch in Teilen der politischen Landschaft verloren gegangen. Der Fokus liegt nicht mehr darauf, für Positionen einzustehen und leidenschaftlich für die Sache zu kämpfen – also den Wähler von sich zu überzeugen. Der Fokus liegt darauf, den Wähler davon zu überzeugen, den politischen Gegner nicht zu wählen. Dafür scheint jedes Mittel recht: Populismus, persönliche Angriffe, Ad-hominem-Argumente, Sippenhaft.
Diesen destruktiven Politik-Stil halten wir für falsch und wir stellen uns dem als liberale Partei klar entgegen. Nicht weil wir das Geschehen in Thüringen gutheißen oder relativieren wollen, sondern weil wir weder Thüringen noch irgendein anderes Bundesland den politischen Rändern, allen voran der AfD, überlassen wollen. Egal welche Fehler wir in den letzten Tagen gesehen haben, die nächsten Schritte dürfen keine Blockadehaltung sein. Die Demokraten haben jetzt eine Chance zu zeigen, wie konstruktive Politik geht – um Thüringen so gut es geht aus dieser misslichen Situation heraus zu führen. Gemeinsam, trotz aller inhaltlicher Differenzen.