Wenn man von Enteignungen hört, so denkt man heutzutage sofort an Berlin: steigende Mieten und raffgierige Wohnungsunternehmen. Da ist es verständlich, wenn Stimmen laut werden, die fordern, diese zu enteignen, um Mieten günstig zu halten und Wucher zu vermeiden. Doch dies würde keinen Beitrag zur Entspannung der Mietsituation leisten. Stattdessen bietet sich eine Vielzahl anderer, nachhaltigerer Optionen an, um bezahlbaren Wohnraum zu garantieren.
Überall Berlin
Berlin ist wohl der bekannteste Brennpunkt, wenn man an die anhaltende Debatte zur Enteignung von großen Wohnungsunternehmen denkt. Insgesamt dreht es sich hierbei um ca. 200.000 Wohnungen, von welchen ca. 112.000 einem einzelnen Wohnungsunternehmen (der Deutschen Wohnen) gehören.
Es ist jedoch etwas kurzsichtig, die Ursachen des angespannten Wohnungsmarkts allein diesen Unternehmen anzulasten. Das Problem ist viel komplexer, wie die Demonstrationen auch in Stuttgart, Frankfurt, Leipzig und Köln zeigen.
Die Kosten
Spielt man das Szenario der flächendeckenden Enteignung von großen Wohnungsunternehmen durch, lässt sich schnell feststellen, dass die meist ohnehin schon klammen öffentlichen Kassen dadurch massiv unter Druck geraten würden. So rechnet der Berliner Senat mit bis zu 36 Mrd. Euro allein für die Deutsche Wohnen (mehr als der gesamte Landeshaushalt für 2020). Da ein Großteil dieser Wohnungen einst bereits in städtischem Besitz war und damals für einen Bruchteil dessen veräußert wurde, was er heute wert ist, würde der Steuerzahler heute die politische Kurzsichtigkeit somit doppelt bezahlen. Das Geld würde der Öffentlichen Hand langfristig fehlen, um neuen Wohnraum zu schaffen. Damit ließe sich, selbst auf dem teuren Berliner Baumarkt, Wohnfläche für fast 350.000 Menschen schaffen (wenn man einen durchschnittlichen Baupreis von 3.000 Euro je Quadratmeter Wohnfläche annimmt) und der gesamte Berliner Zuzug von mehr als 10 Jahren bequem unterbringen lassen.
So bescheinigt ein Gutachten zwar die Verfassungskonformität gemäß Art. 15GG der Enteignung, aber auch, dass die damit verbundene Entschädigung sich am Verkehrswert der Immobilien zu orientieren habe. Inwieweit sich dies dann auch politisch umsetzen ließe, ist angesichts der Kostenfrage nur schwierig einzuschätzen. Denn schließlich wird hierbei kein neuer Wohnraum für die steigende städtische Bevölkerung geschaffen, sondern man haushaltet lediglich mit dem Bestand.
Die Alternativen
Es gibt jedoch Alternativen, welche politisch weniger kontrovers und deutlich effizienter sind, was die Gewährleistung von bezahlbarem Wohnraum angeht. Zum einen können die öffentlichen Mittel, wie oben vorgerechnet, direkt in die Schaffung von neuem Wohnraum umgesetzt werden. Dabei können die öffentlichen Wohnungsbauunternehmen, welche in vielen Städten lange Zeit eher verkleinert als ausgebaut wurden, als Bauträger agieren. Diese können dann auch einfacher hinreichend bezahlbaren Wohnraum für alle Einkommensklassen zur Verfügung stellen. Dies kann mit einem Ausbau und Verstetigung der Förderung von sozialem Wohnungsbau verbunden werden. Wichtig ist hierbei aber eine regelmäßige Kontrolle der Bedarfslage, ob die Bewohner auch auf sozial geförderten Wohnraum angewiesen sind. Wenn nicht, kann die Sozialraumförderung dann sukzessive auf andere Wohnungen im Bestand übertragen werden.
Als zusätzliche Maßnahmen, welche eher indirekt wirken, kann eine Förderung von alternativen Wohnformen, wie generationenübergreifende Wohngemeinschaften, Tiny Houses sowie genossenschaftliches Wohnen einen vor allem gesellschaftlich relevanten Beitrag zu einem bezahlbaren als auch sozialverträglichen Wohnraum schaffen. Als begleitende Maßnahmen können Umnutzungsverbote dafür sorgen, dass Wohnungen auch für Bewohner gedacht sind und Milieuschutz, dass die städtische Entwicklung im Bestand auch die gesellschaftlichen Strukturen vor Ort respektiert.
Jedoch fehlt es in vielen Städten an genügend bebaubarer Fläche, um die steigende Wohnraumnachfrage zu decken. Neben Innenentwicklung und der Forcierung von Hochhäusern sollte hier vor allem die Aktivierung des ländlichen Raumes Abhilfe schaffen. Mit dem Ausbau der Verkehrs- und digitalen Infrastruktur als auch der Nahversorgung muss die Attraktivität des Landes sowohl für Arbeitnehmer als auch -geber gesteigert werden. Somit kann Leerstand auf dem Land bekämpft und der Druck auf den städtischen Wohnungsmarkt vermindert werden.
Notwendigkeit
In wenigen Ausnahmefällen können Enteignungen jedoch notwendig sein. Gerade wenn langfristiger Leerstand von eigentlich nutzbarem Wohnraum durch finanzielles oder persönliches Unvermögen der Besitzer gegeben ist. Auch bei Verwahrlosung von Mietobjekten oder Bodenspekulation könnte man solche Maßnahmen diskutieren. Prinzipiell gilt es jedoch, Enteignungen eher zu vermeiden und Lösungen im Einvernehmen mit Besitzer, Kommune und Gesellschaft zu entwickeln.
Abschluss
Enteignungen sind zwar rechtlich möglich, aber gerade im massenhaften Fall weder zielführend noch finanziell umsetzbar. Stattdessen muss bezahlbarer Wohnraum gezielt von der Öffentlichen Hand geschaffen und die Rahmenbedingungen überarbeitet werden, egal ob durch Genossenschaften oder öffentliche Wohnungsunternehmen. Bezahlbarer Wohnraum ist möglich, im Zweifel müssen Maßnahmen wie Milieuschutz und Umnutzungsverbote genutzt werden, um diesen zu bewahren. Letztlich sind Wohnungen jedoch Teil eines Marktes und wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, muss entweder das Angebot erweitert (neuer Wohnraum geschaffen) oder die Nachfrage gelenkt (Aktivierung des ländlichen Raums) werden.