Diese Diskussion geht an niemandem vorbei. Selbst Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag festgelegt, eSport in den deutschen Sportkanon aufzunehmen und damit als Sport anzuerkennen. Viel getan hat sich hier bisher aber nicht. Vielmehr scheinen sich die regierenden Parteien in dieser Frage aus der Verantwortung zu ziehen. Sie verweisen schlicht auf das Sport-Verständnis organisierter Verbände wie des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Dieser stellt sich gegen die Auffassung, dass eSport eine „eigenständige sportliche Aktivität“ sei.
Er erkennt zwar die sogenannten “virtuellen Sportarten” wie Fußballsimulationen an, lehnt aber ausdrücklich die vom eSport-Bund Deutschland (ESBD) vorgeschlagene Definition ab. Dieser hatte eSport als “das sportwettkampfmäßige Spielen von Video- bzw. Computerspielen, insbesondere auf Computern und Konsolen, nach festgelegten Regeln” definiert. Begründet wird die Ablehnung unter anderem damit, dass ein Verlust des “analogen Bedeutungskern[s]” von Sport vorliege.
Ein konservativer Sportbegriff
Dieses Argument wirkt jedoch, als beruhe es auf bloßem Konservatismus, der ignoriert, dass der Sportbegriff ohnehin einem ständigen Wandel unterliegt. Das wird dem eSport nicht gerecht. Denn auch hier finden sich einige der beständigen Kriterien wieder. Darunter fällt beispielsweise das explizite Motiv des Leistungsvergleichs. Aber auch Feinmotorik in Kombination mit Reaktionsschnelle und fokussierter Wahrnehmung sowie taktisches bzw. strategisches Denken gehören dazu. Die Welt digitalisiert und entwickelt sich zunehmend weiter. Warum das Selbstbild des Sports sich nicht an diesen Wandel anpassen und erweitert werden sollte, ist unverständlich.
Warum eSport kein Sport sein sollte
Ein Kritikpunkt ist der Verweis auf das suchtgefährdende Potential von Videospielen. Doch der wirkt schwach. Dieses Suchtrisiko besteht zwar und ist als Krankheitsbild anerkannt. Grundsätzlich definiert ein vorhandenes Gesundheitsrisiko aber nicht, ob ein Wettkampf als Sport anerkannt wird oder nicht. Wäre das ein Maßstab, bliebe vermutlich wenig übrig. Denn auch viele “analoge” Sportarten bergen Suchtpotential und vor allem je nach Sport ein hohes Verletzungsrisiko. Hier sollten wir eher bewusst mit Risiken umgehen und aufklären. Geförderte Vereinsstrukturen könnten als Zentren sozialer Integration sogar positiven Einfluss haben.
Als weiteres Argument führt der DOSB an, dass bei eSports nicht nach ethischen Grundsätzen differenziert würde. Demnach widersprächen Ego-Shooter wie Counter-Strike diesen Grundsätzen. Allerdings scheinen der Schießsport, das Fechten und auch waffenlose Kampfsportarten, in denen tatsächlich teils schwere Verletzungen in Kauf genommen werden, ethisch vertretbar und durch die breite Bevölkerung anerkannt zu sein.
eSport – logische Folge der Digitalisierung
Die eSport-Szene in Europa ist mit etwa 77 Millionen Zuschauern bereits heute groß. Und sie hat großes Wachstumspotential. Dieses Wachstum ist die logische Konsequenz einer sich digitalisierenden Gesellschaft oder die “Versportlichung der Digitalisierung”, wie der ESBD es ausdrückt.
Allein diese Popularität des eSport und die absehbare weitere Veränderung zeigen, dass wir Sport und unseren Umgang damit neu definieren müssen.
Über die genaue Ausgestaltung können und sollten wir diskutieren – besonders mit Blick auf die besondere Position von gewinnorientierten Spielefirmen auf der einen und Interessen- und Spielerverbänden sowie eSport-Vereinen auf der anderen Seite. Doch ausschließlich aus traditionellen Gründen an einem zunehmend veraltenden Sportbegriff festzuhalten, wird unserer modernen Gesellschaft nicht gerecht.