Strukturelle Diskriminierung: Mythos oder Realität?

36,4 % der Landtagsabgeordneten in Brandenburg sind Frauen. Aus der Perspektive linker Identitätspolitik kann ein Anteil unter 50% nur durch „strukturelle Diskriminierung von Frauen in der Politik“ erklärt werden. Wir unterziehen diese beliebte Hypothese einem Realitätscheck.

Der Frauenanteil in deutschen Länderparlamenten liegt zwischen 24,5 % (BW) und 40,6 % (Thüringen) [1]. Im Bundestag sind es 30,9 % [2]. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, dachten sich die Grünen in Brandenburg. In einer gerechten Welt könne es schließlich nur Gleichverteilung geben. Die rot-rote Landesregierung folgte dieser „Logik“ und beschloss ein Paritätsgesetz. Was wir davon halten, haben wir hier bereits ausführlich erläutert: nichts. Doch dabei wollen wir es nicht belassen. Wir behaupten nicht, dass wir in einer optimalen und absolut gerechten Welt leben. Wir behaupten nicht, dass es keine Probleme mehr zu lösen gäbe. Wir schließen uns lediglich nicht den Ideologen der Identitätspolitik an, die jeden Denkprozess überspringen, um einen komplexen Sachverhalt mit fast mysteriöser Anmutung monokausal zu erklären: „strukturelle Diskriminierung“. Wir wollen es genauer wissen. Wir wollen Fakten und wir wollen wissen, wenn Fakten fehlen. Wir wollen herausfinden, was die Politik wirklich tun sollte und kann.

Das Ziel einer liberalen Demokratie ist, dass sich Frauen im gleichen Umfang politisch engagieren können und politische Repräsentanten wählen können wie Männer. Äußere Faktoren, die Frauen stärker davon abhalten, dies zu tun, müssen abgebaut werden. Dass weniger als 50 % der Abgeordneten Frauen sind, sagt zunächst aber nichts darüber aus, ob Frauen am politischen Engagement stärker behindert werden als Männer.

Der Großteil der Frauen wählt nicht „feministisch“

Die Wahlbeteiligung ist bei Frauen und Männern fast gleichauf – die Abweichung bei der letzten Bundestagswahl lag nur bei 0,3 Prozentpunkten. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Frauen ausschließlich linke Parteien bevorzugen oder Parteien, die vorgeben, sich für „Frauenthemen“ oder Frauenrechte einzusetzen. Frauen wählten bei der letzten Bundestagswahl eher CDU, CSU und Grüne – während Männer stärker zu Linke, FDP und AfD tendierten. Die SPD war bei beiden Geschlechtern gleichauf [3].

Diese Befunde sind keine Ausnahmen. In der bundesdeutschen Geschichte schnitt die Union fast durchgehend besser bei Frauen als bei Männern ab, während die Linkspartei seit der Wiedervereinigung konsequent beliebter bei Männern ist [4].

Das ist auch kein deutsches Phänomen. Im Vorwahlkampf der Demokraten 2008 war Barack Obama deutlich beliebter bei Frauen als Hillary Clinton. Und bei ihrer Kandidatur 2016 gegen Donald Trump hat sie kaum mehr Zustimmung durch Frauen erhalten als zuvor Obama. Studien zeigen, dass die Identität „Frau“ politisch nicht mobilisiert [5]. Das ist besonders überraschend, da Clinton 2016 explizit ihr Geschlecht zur Wahlkampfstrategie machte. Ihr Slogan war „I’m With Her“ [6] und ihre Themen waren stark auf Identitätspolitik wie „Social Justice“ und „Gender Pay Gap“ fokussiert.

Mehr Frauen in der Führung als an der Basis

Nur 17,2 % der Frauen sind an Politik „besonders interessiert“, bei Männern sind es 30,1 % [7]. Nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts sind 39 % der Frauen und 59 % der Männer an Politik interessiert [8].

Dementsprechend sind die Frauenanteile unter Parteimitgliedern niedrig. Obwohl Frauen bevorzugt CDU oder CSU wählen, bilden sie nur 26,2 % bzw. 20,5 % der jeweiligen Parteibasis. Die bei Männern gleich oder stärker bevorzugten Parteien SPD und Linke haben einen Frauenanteil von 32,5 % bzw. 36,5 %. Die Grünen haben den höchsten Frauenanteil unter ihren Mitgliedern: Dieser beträgt trotzdem gerade mal 39,8 % [9]. Obwohl Feminismus seit ihrer Gründung ein Kernthema ist und sie seit Jahrzehnten Quoten sowie paritätische Führungsspitzen haben, reicht es nicht für 50 %.
Unter diesen Voraussetzungen und sofern keine Diskriminierung vorliegt, müssten die Frauenanteile auf allen Ebenen einer Partei annähernd konstant sein, also auch bei Abgeordneten. Liegt „strukturelle Diskriminierung“ vor, wie gerne postuliert, wäre der Anteil unter Abgeordneten sogar geringer. Die Fakten geben jedoch ein ganz anderes Bild. Die meisten Parteien haben einen höheren Frauenanteil unter ihren Bundestagsabgeordneten als in ihrer Basis. Zum Beispiel sind 53,6 % der Abgeordneten der unter Männern beliebten Linkspartei weiblich, jedoch nur 36,5 % ihrer Parteimitglieder. Hingegen hat die bei Frauen beliebte Union nur einen Frauenanteil von 19,9 % im Bundestag [10], bei 20,3 % (CSU) bzw. 26,1 % (CDU) unter allen Mitgliedern. Andererseits sind Frauen gerade in den Spitzenpositionen der Union deutlich stärker repräsentiert. Die Regierungssitze der Union werden aktuell von sechs männlichen und drei weiblichen Ministern sowie natürlich von der Kanzlerin besetzt – ein Frauenanteil von 40 %.

Ideologien sind einfach – die Realität nicht

Verwirrt? Wir auch. Entgegen dem Mythos einer „strukturellen Diskriminierung“ legen Frauen in fast allen Parteien eine erfolgreichere Karriere hin als Männer und sind in der Führung sowie unter Mandatsträgern im Vergleich zur jeweiligen Basis „überrepräsentiert“. Dennoch werfen diese Parteien sich selbst oder gegenseitig Diskriminierung vor und wollen Frauen noch stärker durch Quoten nach oben befördern. Dass es in ihrer Basis an Frauen mangelt, ist in der öffentlichen Debatte jedoch ein nachrangiges Thema – selten thematisiert, noch seltener intensiv diskutiert.

Kein Wunder, denn das Thema ist nicht einfach. Auch wir erhalten deutlich weniger Mitgliedsanträge durch Frauen als durch Männer. Wie in den meisten anderen Parteien liegt es bei uns mit Sicherheit nicht an Diskriminierung. Etwa 21 % unserer Basis ist weiblich, 20 % der AGs und 50 % der Verwaltungsteams werden von Frauen geführt oder mitgeführt, 22 % der Ämter in LVs sind von Frauen besetzt, 20 % der Bundesvorstandsmitglieder sind Frauen. Gemessen an unserem Mitgliederanteil haben wir also eine genau zu erwartende Verteilung der Geschlechter. Wir legen niemandem Steine in den Weg, im Gegenteil: Bei uns ist es sogar sehr leicht, schnell in Verantwortung zu kommen. Wir behandeln niemanden besser oder schlechter aufgrund seines Geschlechtes. Frauen und Männer müssen sich beide gleichermaßen messen und Leistung, Kompetenz, Talent, Willen, Engagement, Kommunikationsgeschick und Durchsetzungsfähigkeit zeigen. Das ist für uns Fairness und Chancengleichheit.

Chancengleichheit statt Ergebnisgleichheit

Wenn Chancengleichheit gegeben ist, wird es auch immer unterschiedliche Ergebnisverteilungen geben. Die Hoffnung, durch Quoten erzielte Frauenanteile in Führungsebenen würde Frauen in unteren Ebenen fördern, ist eine Illusion. Auch in Unternehmen haben Quoten keinen positiven Effekt, wie kürzlich eine weitere Studie belegte. Die Ökonomin Andrea Weber zieht das Fazit: „Wir waren von diesem Ergebnis nicht komplett überrascht.“ [11]. Eine australische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass anonymisierte Bewerbungen sogar dem Ziel der Frauenförderung schaden, da sie um 3 % seltener ausgewählt wurden, als wenn ihr Geschlecht über den Namen erkennbar war [12].

Wir können weiter das Phantom „strukturelle Diskriminierung“ jagen oder wir können anerkennen, dass diese Hypothese zumindest im politischen Kontext der Empirie nicht standhalten kann. Zwar können wir Diskriminierung nicht vollständig ausschließen und wir wollen niemandem eventuelle persönliche Erlebnisse absprechen – sich falsch verhaltende Einzelpersonen gibt es leider immer wieder –, auf der Gesamtebene kann systematische Diskriminierung aber nicht die Hauptursache sein. Gäbe es strukturelle Diskriminierung in den Parteien, müsste sich diese in den Ergebnissen, der Posten- und Ämterverteilung auf breiter Front in signifikantem Maße manifestieren, doch die Daten lassen diesen Schluss nicht zu.

Wir müssen tiefer graben. Wir müssen herausfinden, was die Ursachen für das niedrige politische Interesse und das noch niedrigere politische Engagement sind, statt einfache Lösungen aus der Hüfte zu schießen. Im nächsten Artikel widmen wir uns den Voraussetzungen für politische Mitwirkung und was das für Frauen bedeutet.

Quellen

  1. https://www.lpb-bw.de/frauenanteil_laenderparlamenten.html
  2. https://www.bundestag.de/…/frauen_maenner/529508
  3. https://www.destatis.de/DE/…/WahlverhaltenBundestagswahl2017_032018.pd
  4. http://www.bpb.de/apuz/277339/waehlen-frauen-anders-als-maenner
  5. https://www.washingtonpost.com/…/why-the-gender-gap-doomed-hillary-clinton/
  6. https://www.fastcompany.com/90109190/the-story-behind-im-with-her
  7. https://de.statista.com/…/…informationsinteresse-an-politik-nach-geschlecht/
  8. https://www.bpb.de/…/frauen-in-der-politik
  9. https://de.statista.com/…/frauenanteil-in-den-politischen-parteien/
  10. https://www.bundestag.de/…/frauen_maenner/529508
  11. https://www.faz.net/…/glaeserne-decke-die-frauenquote-wirkt-anders-als-gedacht-16018893.html
  12. https://mobile.abc.net.au/…/bilnd-recruitment-trial-to-improve-gender-equality-failing-study/