Wahllistenparität in Brandenburg – Demokratie unter Beschuss

Brandenburgs Frauenquote für Landtagswahlen ist kein politischer Fortschritt, es ist ein zutiefst ideologiegetriebenes, verfassungs- und demokratiefeindliches Gesetz.

Ab Sommer 2020 müssen Parteien in Brandenburg ihre Wahllisten zu Landtagswahlen paritätisch mit Frauen und Männern besetzen. Dafür haben die Regierungsfraktionen Die Linke und SPD mit Unterstützung der Grünen gestimmt [1]. Dem neuen Gesetz zufolge müssen die Parteien zwei Wahllisten erstellen, eine für Männer und eine für Frauen. Unterlassen sie das oder können die Listen nicht paritätisch gefüllt werden, werden diese Parteien nicht zur Wahl zugelassen. Beide Listen werden nach Abschluss der Aufstellungswahl in wechselnder Reihenfolge zusammengeführt, wobei separat entschieden wird, welches Geschlecht den obersten Listenplatz bekommt. Ausgenommen davon sind die Direktkandidaten der Wahlkreise. Der eigene Fallstrick dabei: Personen, die sich selbst nicht als männlich oder weiblich zuordnen, dürfen ihre Liste frei wählen.

Damit erleben wir die Verwirklichung einer Idee, die seit der Bundestagswahl 2017 auch auf Bundesebene diskutiert wird [2] und deren Ziel vorgeblich die Geschlechtergleichstellung ist. Doch diese Wahlrechtsänderung hat ein fundamentales Problem: Sie ist mit der Gleichheit der Wahl unvereinbar. Zu dem Schluss kommen der Parlamentarische Beratungsdienst des Landtages [3], der Bericht der Landesregierung [4] und verschiedene Juristen [5]. Problematisch für das Gesetz ist auch das Urteil des BVerfG von 2017, welches eine dritte Option der geschlechtlichen Zuordnung als zwingend notwendig ansieht [6]. Es ist deshalb abzusehen, dass dieses Gesetz vor den Gerichten keinen Bestand haben wird.

Doch das hinderte die Befürworter nicht daran, es einzuführen und es wird sie sicherlich nicht daran hindern, auch auf Bundesebene einen erneuten Versuch zu starten. So lobte die Linke-Vorsitzende Katja Kipping bereits das Gesetz als „großen Beitrag zu etwas, was längst Normalität sein sollte“ und es wäre „höchste Zeit für ein Wahlgesetz auf Bundesebene“ [7]. Auch der Fraktionschef der SPD, Mike Bischoff, sieht seine Partei in einer Vorreiterrolle [8]. Parlamentspräsidentin Britta Stark sagt: “Es geht nicht um ein Frauenthema, sondern um das Ganze. Ich spreche nicht von einer Quote, sondern von Demokratie.” [9] und “Frauen haben Anspruch auf die Hälfte der Macht.” [10]

Der Frauenanteil in deutschen Parlamenten liegt zwischen 25% und 40% und damit im Schnitt bei 31,5% [11]. Der Frauenanteil in der Bevölkerung in Deutschland liegt 2018 bei 50,66% [12]. Die Schlussfolgerung rot-grüner Politik: Wenn diese zwei Zahlen voneinander abweichen, dann besteht Diskriminierung und Unterdrückung – nicht beachtet wurde natürlich der Frauenanteil in Parteien, der im Schnitt bei 27% liegt [13]. Das ist nicht nur eine geradezu infantile Logik, dem zugrunde liegt auch eine gefährliche Ideologie.

Es ist eine Ideologie, die Ergebnisgleichheit anstrebt. Eine Ideologie, die Menschen nur in Bezug zu einem vermeintlich homogenen Kollektiv sieht, welches nach kulturellen, ethnischen, sozialen oder sexuellen Merkmalen abgegrenzt wird. Es ist eine Ideologie, die eine komplexe Welt auf einfache Mechanismen der Herrschaft- und Unterdrückung reduziert. Die Rede ist von Identitätspolitik [14].

Zwar ist im Falle der Brandenburger Wahlrechtsreform die Rede von einem “Gleichstellungsgesetz”, doch gute Absichten und nette Begrifflichkeiten können nicht über das problematische Grundverständnis hinwegtäuschen. Wenn die Befürworter des Gesetzes davon sprechen, dass Frauen “unterrepräsentiert” werden, dann meinen sie, dass Frauen nur durch Frauen repräsentiert werden können. Das ist eine abstruse Annahme und ein gefährliches Demokratieverständnis, das direkt von dem nationalsozialistischen Staatsrechtler Carl Schmitt stammen könnte, der Demokratie als homogene „Identität von Herrscher und Beherrschten“ verstand [15]. Moderne Demokratien tragen der Inhomogenität der Bevölkerung Rechnung und integrieren auf Basis rechtlicher Gleichheit über formale Verfahren unabhängig von Identität.

Anscheinend haben auch die Wähler der Parteien ein moderneres Demokratie- und Geschlechterverständnis, als die Parteien selber. Die Analyse des Wahlverhaltens von Frauen und Männern zeigt, dass sie nicht geschlechtsabhängig wählen [16]. Das ist einer von vielen Gründen dafür, warum es es trotz 50% Frauenanteil in Deutschland keine 50%ige Frauenverteilung in Parlamenten gibt. Übrigens sind es auch vielfältige komplexe Gründe, warum Grüne, Linke und SPD trotz quotierter Listen und Redner “nur” einen Mitglieder-Frauenanteil von 39,8 bis 32,5% erzielen. Das Ergebnis vorweg zu nehmen und den Prozess der Problemanalyse und den Lösungssuche zu überspringen und das gewünschte Ergebnis per Gesetz zu erzwingen, ist höchst problematisch.

Identitätspolitik, die weite Teile linker Politik durchzieht, pervertiert das Prinzip der repräsentativen Demokratie und ersetzt es durch ein Prinzip der Zurschaustellung. Personen werden ihrer Individualität beraubt und auf Vertreter des Kollektivs reduziert. Bisher wurden jedoch nur die offensichtlichsten möglichen Gruppenmerkmale in Betracht gezogen: Die SPD hat seit 2011 eine Migrantenquote [17], diese Forderung taucht auch in den Medien für die Parlamente immer wieder auf [18], die Kleinpartei DiB hat eine Vielfaltsquote für “Menschen, die wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, einer Behinderung oder ihrer sexuellen Identität bzw. Orientierung diskriminiert werden” [19].

Das Problem bei dieser Betrachtung ist eine potenziell unendliche Aufsplitterung in weitere beliebige Kategorien und die damit einhergehende potenziell unendliche Zuordnung einer einzelnen Person in diese Kategorien. Die Antwort auf dieses Problem wurde vor langer Zeit gefunden und ist eine der fundamentalsten Errungenschaften unserer Gesellschaft: Die kleinste Minderheit ist das Individuum.
Frauen haben keinen Anspruch auf die Hälfte der Macht. Männer haben keinen Anspruch auf die Hälfte der Macht. Das Geschlecht ist keine Institution, keine juristische Person, keine Interessengemeinschaft. Wer unter Diversität nur an Quoten denkt, verkennt die Diversität zwischen Individuen. Identitätspolitische Gruppenrepräsentanz bedeutet nicht Vielfalt, sondern einen neuen Tribalismus, der das Trennende und nicht das Verbindende in den Mittelpunkt stellt. Es ist Konsens in unserer Gesellschaft, dass es eine ausgesprochen schlechte Idee ist, Menschen in Gruppen zu sortieren, diese Gruppen als homogen zu betrachten und Menschen auf ihre Zugehörigkeit zu diesen zu reduzieren. Bis vor einiger Zeit nannte man das noch Rassismus, Sexismus oder eine abgewandelte Form des -ismus. Heute nennt man es Identitätspolitik und betrachtet es als gut und moralisch – zumindest wenn es auf der “richtigen”, der linken Seite gespielt wird.

Wir halten eine Sichtweise, die das Individuum marginalisiert für grundfalsch. Wir halten eine Politik, die auf Ergebnisgleichheit und nicht auf Chancengleichheit abzielt, für grundfalsch. Wir halten eine Politik, die leichte Antworten auf komplexe Probleme gibt, für populistisch und grundfalsch.

Wir wollen eine Politik, die Chancen gibt, individuelle Selbstbestimmung ermöglicht und Leistung fördert. Wir plädieren für einen liberalen Feminismus [20]. Wir sind uns darüber bewusst, dass auch in unserer fortschrittlichen Gesellschaft noch immer viele verschiedene subtile oder offensichtlichere Hürden dem im Weg stehen. Wie wir diese – insbesondere auch in Hinblick auf Frauen – angehen können, werden wir in den kommenden Tage in weiteren Beiträgen diskutieren.

Quellen

  1. https://www.tagesspiegel.de/berlin/gleichstellung-brandenburg-beschliesst-gesetz-fuer-mehr-frauen-im-landtag/23933770.html
  2. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/cdu-und-spd-politikerinnen-wollen-frauenquote-im-wahlrecht-15483926.html
  3. https://docs.google.com/viewer?url=https%3A%2F%2Fwww.parlamentsdokumentation.brandenburg.de%2Fstarweb%2FLBB%2FELVIS%2Fparladoku%2Fw6%2Fgu%2F48.pdf
  4. https://docs.google.com/viewer?url=http%3A%2F%2Fwww.parldok.brandenburg.de%2Fparladoku%2Fw6%2Fdrs%2Fab_9600%2F9699.pdf
  5. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/frauenquote-parlament-wahlrecht-selbstbestimmung/
  6. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html
  7. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-01/brandenburg-beschliesst-gleichstellungs-gesetz-fuer-landtagswahlen
  8. https://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-der-landtagswahl-rot-rot-gruen-will-frauenquote-fuer-brandenburger-landeslisten/23897498.html
  9. https://www.landtag.brandenburg.de/de/aktuelles/aktuelle_meldungen/parlamentspraesidentin_britta_stark:_%E2%80%9Cparit%C3%A9gesetz_ist_ein_groszer_sieg_fuer_die_demokratie%E2%80%9D/894786?_referer=397203
  10. https://www.sueddeutsche.de/politik/brandenburg-frauen-haben-anspruch-auf-die-haelfte-der-macht-1.4298354
  11. https://www.lpb-bw.de/frauenanteil_laenderparlamenten.html
  12. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/Zensus_Geschlecht_Staatsangehoerigkeit.html
  13. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/192247/umfrage/frauenanteil-in-den-politischen-parteien/
  14. https://plato.stanford.edu/entries/identity-politics/
  15. Schmitt, C. (1928). Verfassungslehre. Berlin: Duncker & Humblot. S.234f
  16. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/2018/03/WahlverhaltenBundestagswahl2017_032018.pdf
  17. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-gabriel-drueckt-migrantenquote-durch-a-761572.html
  18. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-09/migration-deutschland-migrantenquote-neue-deutsche-organisationen
  19. https://bewegung.jetzt/2017/07/10/wir-sind-die-erste-partei-mit-vielfaltsquote/
  20. https://diehumanisten.de/blog/2018/11/11/10-thesen-fuer-einen-liberalen-feminismus/